: Das Bett von Karin Hoffmann-Evans
■ Berliner Zimmer, Teil 5: Eine Besuchsreihe von Falko Hennig
Ob Sie das aufnehmen dürfen? Sie wissen doch, daß ich Schauspielerin war? Wir wohnten in dem schönsten Atelierhaus, das Berlin hatte. Das war in der Kurfürstenstraße, und in diesem Haus wohnten Pechstein, Graf Luckner, Renée Sintenis, Professor Kampf – da weiß ich nie genau, war der nicht Bildhauer? Na, auf alle Fälle, das war ein Atelier, Mensch! Ich hab' noch Fotos davon.
Wir zogen 46 hier in die Wohnung. Für mich sind diese Decken zu niedrig. Ich bin Altbauwohnungen gewöhnt. Wir zogen ja hierher aus der Atelierwohnung, die war 5,5 Meter hoch. Da war ja eine Galerie – wer war der berühmte Architekt, der das erste Wertheim am Potsdamer Platz gebaut hat? Der hieß so ähnlich wie Neffner, Messner, Mendelssohn? Nein, Mendelssohn war später.
46, da war hier noch der Himmel zu sehen. Eine Luftmine von oben bis runter. Wir konnten den Himmel sehen. Es waren keine Fenster drin, da standen nur noch die Außenmauern. Hier fehlte ja auch eine Wand, und da sagten wir: Na ja, die bleibt auch weg, dann ist wenigstens ein größerer Raum da als Atelier, es steht noch die Staffelei da. Aber als wir hier einzogen, 46, es war abenteuerlich. Die Küko hatte nur ihre Arbeiter zur Verfügung gestellt. Wir mußten jeden Stein, jedes bißchen Lack, alles alleine schwarz besorgen. Die Scheiben kommen aus London. Ich bin ja halb britisch. Mein Schwager, der hatte mit der Beleuchtung in London zu tun, und der hatte alle Beziehungen. Damals war ja Besatzung hier, da kamen die Soldaten immer mit einzelnen Päckchen an mit Glas. Sie konnten große Scheiben nicht tragen, hier sind es ja kleine. Wir konnten hier kein Glas kriegen. Schon während des Krieges und nach dem Krieg erst recht. Für uns wäre so 'ne Wohnung nicht möglich gewesen, wenn nicht das Loch da oben gewesen wäre. 50 Jahre wohn' ich hier. Zwei Kinder habe ich hier großgezogen. Mein Mann hieß Wolf Hoffmann, ich heiße Karin Hoffmann-Evans.
Fast alle Dinge hier haben eine Geschichte. Die älteste Geschichte hat mein Bett, es ist mehr für mich, weil es eine Erinnerung ist an einen Mann, der mich jahrelang verehrt hat. Der dachte immer, ich würde mal nachgeben. Aber er war Sachse, und ich konnte ihn nicht ernst nehmen. Diese Fahrten waren unvergeßlich, weil wir nur gelacht und gesungen haben. Es waren herrliche Zeiten, und er war rührend. Er konnte uns nur hinbringen, er hatte dann vielleicht ein Wochenende Zeit, und dann mußte er schnell wieder zum Querschnitt, und dann kriegte ich zum erstenmal meine eigene Wohnung. Die war in der Friedrich-Wilhelm- Straße, da kam der William und hat sehr geholfen, ick hatte ja keen Auto. Dann sagte er: „So, paß auf! Ich habe ein vollständiges Schlafzimmer, und das möchte ich dir gerne geben!“ Und ich sagte: „William, ich nehme nur Vergängliches, du weißt es.“ So altmodisch war ich noch. Ich nehme nur Vergängliches, also Blumen.
Die Sachen, die er sich dann ausgedacht hat, als vergängliche... Zum Beispiel: Wir kommen aus der Ostsee nach Hause, Luluchen und ich und machen die Tür auf. Da wohnte ich noch zur Miete in einem Haus, das noch steht. Im 2. oder 3. Haus im fünften Stock wohnte ich. Machte mein Zimmer auf, schon im Flur dachte ich: Hier hat jemand geräuchert, Fisch gegessen. Mache die Zimmertür auf, da ist der Länge nach ein Seil gezogen. An diesem Seil hängen: geräucherte Flundern, geräucherter Aal, geräucherte Flundern. Das ganze Seil war voll von geräuchertem Fisch! Es war abends, und vom Balkon kam Licht: an, aus. Ich mach die Tür vom Balkon auf, der Balkon so tief mit Ostseesand bedeckt, im 5. Stock! An der Brüstung eine Projektion vom Meer, da schwimmen zwei Köpfe drin, unsere Fotografien, Lulus und meine. Und ein Leuchtturm, einen halben Meter groß. Und dieser Leuchtturm ging an und aus, an, aus. So hat der William sich Dinge ausgedacht, die vergänglich sind, die ich akzeptieren würde. Er war ja nicht mein Liebhaber, nie. Er wollte ja mehr als mein Liebhaber werden. Mit diesen Möbeln, diesem Schlafzimmer, dachte ich: Na gut, als Leihgabe, geliehen würde ich sie nehmen. Als ich das nächstemal in diese neue Wohnung kam, da hatte er schon die Möbel aufgebaut im Schlafzimmer, und dann ging ich ins Klo und drehe das Papier. Kommt aus diesem Ding, wo das Papier angemacht war (singt) „Gern hab' ich die Frau'n geküßt“. Das Lied! Das gab es damals, du konntest Klorollen kaufen. Da war irgendein Mechanismus drin, aber ausgerechnet „Gern hab' ich die Frau'n geküßt“. Und so hat er sich Dinge ausgedacht. Der William war ja Jude! Er war 38, so was, nach Amerika.
Mein Mann war damals eingezogen zur Briefprüfstelle. In dieser Briefprüfstelle war jemand, der in Werder wohnte und da anscheinend einen großen Keller hatte. Jedenfalls hat er das Bett dahin gebracht. Nach dem Krieg kriegte ich mein Bett wieder. Gleich nachdem wir hier eingezogen sind, da war ich viel auf dem Balkon. Gegenüber war Ruine damals, so daß ich mich auf dem Balkon sonnen konnte. Ich lag also auf dem Balkon, und damals war wenig Verkehr. Und wenn Autos, dann waren es immer nur Ami-Autos. Da hörte ich ein Auto, und det hielt mir gegenüber. Da war ich neugierig. Ich stieg auf meine Liege und kuckte über die Brüstung. Steht, wie ich vermute, ein Ami-Auto. Ich dachte: Nanu, was macht der denn hier?
Denn ging die Tür auf, und heraus kam ein großer Mann. Komischerweise mit einem Cowboyhut, aber eine Art von Uniform hatte er ooch an. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen. Er stieg aus dem Auto, und ich rief runter: „William!“ Ohne ihn gesehen zu haben! Nimmt er seinen Hut ab, kuckt rauf und sagt: „Ja, Karin, da bin ich endlich.“ Und als er hier reinkam, sagte ich: „Du kommst wohl dein Bett holen.“ Aber er hat es nicht geholt. Er war ja stationiert in Frankfurt, er war in Amerika eingezogen worden, sonst hätte er da nicht leben können. Das ist die Geschichte von meinem Bett. Sie haben das doch nicht etwa aufgenommen? Falko Hennig
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen