piwik no script img

Schnell putzen nach der „Schlägerei“

In Magdeburg würde man nach dem Skin-Überfall von letzter Woche gern schnell zur Tagesordnung übergehen, Mitleid für das Opfer zeigt kaum jemand. Peter Böttcher wurde nach dem Überfall seine Wohnung gekündigt  ■ Von Constanze von Bullion

Sie ist erschüttert. Betroffen. Begutachtet die eingedrückte Holztür. Läßt sich ins verwüstete Wohnzimmer führen und schielt durch die kaputten Fenster in den Hof. Draußen zwischen den Teppichstangen sind sie über ihn hergefallen. Haben ihm ins Gesicht getreten, immer wieder. 13 Glatzen gegen einen. Der bleibt zwischen den Glasscherben auf dem kleinen Rasenstück liegen. „Mehrfacher Schädelbruch mit Hirnwasserabfluß“ lautet später die Diagnose. Der 23jährige wird wohl nie mehr ganz zu sich kommen.

Die Dame am Fenster ist erschüttert. Nicht darüber, daß hier ein Punk von rechtsradikalen Schlägern zu Brei getrampelt wurde. Kummer macht der Bestandsverwalterin von der Wohnungsbaugesellschaft Magdeburg (Wobau) der Zustand der überfallenen Wohnung. „So geht das nicht weiter“, teilt sie dem verstörten Mieter Peter Böttcher mit, „Sie sind gekündigt.“

Die Magdeburger sind entnervt. Ob Wohnungsverwalter oder Sozialarbeiter, nach dem jüngsten Überfall aus der rechten Szene wird Mitleid mit den Opfern nur gequält geäußert. Wer kann sich schon noch aufregen über die Mord- und Totschlagserie, die nach der Wende hier losbrach. 1991 wurde in der Elbstadt ein türkischer Blumenverkäufer von Skins mit Leuchtmunition schwer verletzt, 1992 schlugen rechte Kameraden den Punker Torsten Lamprecht tot, 1994 hetzten Hooligans Asylbewerber durch die Fußgängerzone, und vor einem Jahr wurde der 17jährige Frank Böttcher an einer Straßenbahnhaltestelle umgebracht.

Daß Franks Bruder Peter nicht zu Hause war, als die Glatzen vergangenen Samstag sein Wohnhaus in Magdeburg-Cracau umzingelten, daß ein zufällig anwesender Kumpel dran glauben mußte, weiß inzwischen jeder der betagten Nachbarn, die sie sich vor dem Haus in Grüppchen sammeln und durch die Batikvorhänge linsen. Jeder Bewohner des Viertels mit den ordentlichen Vorgärten hat sie schon mal gesehen, „diese jungen Leute mit den bunten Haaren und den vielen Hunden“. Und alle kennen das brutal verquollene Gesicht von Gordon G., der für ein Pressefoto aus dem künstlichen Koma geholt wurde.

Bei den Nachbarn hält sich die Anteilnahme in Grenzen. Der Dreck im Hausflur. Die jaulenden Köter. Die nächtelangen Partys. „Von der Hausordnung haben die nie etwas gehört. Da sind die Spaghettiteller aus den Fenstern geflogen, und unten im Keller haben sie die Sicherungskästen aufgebrochen“, weiß die Nichte von Grete Stäsche, die zweiten Stock wohnt. Doch, der junge Mann tut ihr schon leid, versichert die Rentnerin. Aber der Lärm. Nein.

Sie haben sich beschwert. Die alten Damen, aber auch jüngere Leute aus der Nachbarschaft, heißt es bei der Wohnungsbaugesellschaft. Briefe haben die Mieter ihnen geschickt, haben gejammert bei Freunden, Nachbarinnen, angeblich auch bei einem Taxifahrer. Der nun, so steht es in der Lokalzeitung, soll seinem halbstarken Sohn vom Ärger mit den Punks erzählt haben. Und wenig später seien ein paar Glatzen aus dem Plattenbaubezirk Neu-Olvenstedt nach Cracau aufgebrochen.

Kann sein, daß es so war. Muß aber nicht. Denn feiste Jungs mit kurzen Haaren wohnen gleich nebenan, Wand an Wand mit der linken Wohngemeinschaft in der anderen Doppelhaushälfte. Aus einem sorgsam abgedunkelten Fenster schaut einer, der reichlich nervös aussieht. „Ich habe Angst, überfallen zu werden von den Linken“, sagt der junge Mann. „Heftig ist das hier. Ganz heftig.“

Ein bißchen Kriegspielen muß eben sein. Auch wenn die Bunten und ihre angeblichen Müllberge jetzt verschwunden sind. Spurlos. Keine 48 Stunden nach dem Überfall des rechten Rollkommandos hat die Wobau den Rasen vor der Haustür blitzblank harken lassen. Peter Böttcher, dem der Überfall galt, hat man bei der Gelegenheit gleich die Kündigung ausgesprochen. Zack-zack geht das, effektive Problembeseitigung eben.

Wenn nicht die verdammten Medien wären. Daß die größte städtische Wohnugsbaugesellschaft ausgerechnet das Opfer rausschmeißt, hat dem Publikum nicht gefallen. Und weil Wobau- Chef Torsten Prusseit jetzt irgendwie blöd dasteht, hat er eilig eine Presseerklärung vorbereitet. Da wird beteuert, daß die Kündigung „mit der“, wie die Wobau sich ausdrückt, „Schlägerei“ in keinem Zusammenhang stehe. Für Peter Böttcher wolle man eine „sichere Wohnmöglichkeit finden“.

Eindruck schinden kann das freilich wenig. „In Magdeburg wird die rechte Subkultur gehegt und gepflegt“, meint Matthias Gärtner, PDS-Abgeordneter im Landtag von Sachsen-Anhalt. „Erst hat man mit einer massiven Kampagne linke Wohnprojekte aus dem Stadtzentrum nach Cracau vertrieben. Und dann wundert man sich, wenn es zu Konflikten kommt.“

Daß rechte Schläger sich nur bestätigt fühlen können von solchen Signalen der Stadtoberen, weiß man im „Blauen Archiv“ längst. In dem Antifa-Treff und alternativen Wohnprojekt im Altbaubezirk von Magdeburg-Stadtfeld wird ein Flugblatt für die nächste Demo vorbereitet. Von wüsten Revoluzzern ist nichts zu sehen. Zwischen ordentlichen Zeitungsregalen analysieren die Jugendlichen die Lage mit wohlüberlegten Statements zur „fehlenden Zivilgesellschaft im Osten“, über die „völlig falsche Auffassung von akzeptierender Jugendarbeit“ und die „rechte Sozialisation in Neu-Olvenstedt“.

Reden über die rechten Ausfälle will in Magdeburg aber kaum noch jemand, sagen die Aktivisten. Die Rechte lasse man gewähren, die Linke aber werde von der Politik unter Druck gesetzt. Etwa durch einen Antrag der Landes- CDU auf mehr Polizeipräsenz im Altbaubezirk Stadtfeld, in dem vor „gewaltsamen Übergriffen“ durch Linke gewarnt wurde. „Dabei geht es gerade hier um Stadtsanierung, um Rückerstattung von Altbauten und um Geld“, weiß Jungtheologe Thomas Heinrich. „Und da sind wir einfach im Weg.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen