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Sprich laut, stirb leise

Der harte Konkurrenzkampf und eine rigide Law-and-order-Politik hinterlassen in New Yorks Performance-Szene ihre Spuren: Alles wird kontrollierter und kommerzieller. Auch Amerikas Kulturpolitik befindet sich in einer konservativen Wende  ■ Von Jürgen Berger

„Ich hasse es, wie zutiefst verkommen diese Stadt ist...“ ereifert sich der Finanzjongleur Price in Bret Easton Ellis' „American Psycho“ über Dreck, Korruption, Verwahrlosung und Verbrechen in New York. Sich hier zu bewegen, erfährt man, heißt sein Leben zu riskieren oder sich zumindest die Krätze zu holen. Das war einmal. Inzwischen ist New York – oder genauer Manhattan – dank Bürgermeister Rudolph Giulianis Aufräumarbeit sicher, sauber und adrett. Die Stadtteile, die man heute meiden sollte, liegen drüben in Brooklyn.

Daß New York zum Vorbild für deutsche Law-and-order-Phantasien werden konnte, hat einen merkwürdigen Beigeschmack. Viele aus der liberalen Kulturszene meinen, man fühle sich jetzt zwar sicher, das rigorose Durchgreifen der Polizei habe auf andere Art und Weise aber wieder ein Stück Lebensqualität zunichte gemacht. Was gemeint ist, erfährt man abends vor einer der kleinen Bühnen in der neuen Hipszene von East Village. Einer der jünger aussehenden Besucher wird vom Kartenverkäufer unvermittelt nach dem Ausweis gefragt, weil der Zutritt unter 21 Jahren laut New Yorker Sonderverordnung verboten ist. Die Polizei kontrolliert, bei Verstößen riskiert man, daß die Bühne geschlossen wird. Um wieder die gewohnt liberale Atmosphäre zu genießen, wird später gewitzelt, müsse man nach Los Angeles auswandern.

So wie Sandra Bernhard, die inzwischen im sonnigen Osten lebt und aus Filmen wie „In Bed with Madonna“, Scorseses „King of Comedy“ und Nicolas Roegs „Track 29“ bekannt ist. Ende der achtziger Jahre gehörte sie zu New Yorks Performance-Szene und sorgte durch eine Affäre mit Madonna für Aufregung. Und jetzt das! Ihr Comeback in New Yorks Indian Summer mit „I'm still here... Damn it!“, einer One-women-Performance im Westbeth Theatre an der Grenze von Greenwich Village zu Chelsea.

Das Westbeth direkt am Hudson River war dereinst eine Post und sollte abgerissen werden, wurde Ende der siebziger Jahre aber besetzt und hat sich bis heute als Spielort für abseitigere Theaterereignisse gehalten. Jetzt fiebert die Downtownszene bei Drinks dem Ereignis „Bernhard“ entgegen, und dann kommt die androgyne Nitroglycerinpackung mit ihrer schamlosen Mischung aus kurzen, sarkastischen Geschichten, Liza- Minelli- und Cher-Persiflagen, gefolgt von jähen Wechseln zu eigenen Gedichten und kurzen Songs, in denen die Großstadtleopardin den Blues singt.

Die Bernhard ist ein Antityp zu den Glamourstars des Broadway, schreibt für Magazine wie Rolling Stone, Vanity Fair, New Yorker und zählte zweifelsohne zu den Großen im Gewerbe, wäre sie nicht eine Nestbeschmutzerin, die mit ihrer Ironie geschäftsschädigend alle überzieht. Aber noch wichtiger: Mit ihrem Comeback steht sie auch dafür, daß New Yorks klassische Performance- Szene sich in den letzten Jahren stark verändert hat. Auf der Bühne sind nicht mehr Ein-Personen- Selbstfindungen in einer Mischung aus Tanz, Videoinstallation, skulpturalen Elementen und Texten zu sehen. In der Hauptstadt der Performance ist derzeit monologisches Geschichtenerzählen angesagt. Man hat sich der Comedyszene angenähert und ist kommerzieller geworden.

Da spielt der harte Überlebenskampf im New Yorker Showbusiness eine Rolle. Andererseits hat sich aber auch das teilweise unreflektierte Nebeneinander unterschiedlicher Kunstformen überlebt. Sandra Bernhard allerdings geht weiter als etwa die Performance-Ikone Laurie Anderson, die Ende des Jahres mit „The Speed of Darkness“ in Deutschland tourte. Auch Laurie Anderson ist inzwischen beim puren Erzählen angelangt, phantasiert sich aber elegisch in Internetvirtualitäten, während Sandra Bernhard sich der scharfen Comedyschnitte bedient und deren witzige Schärfe übertrumpft.

Der Trend hin zur Erzählperformance zeigt sich auch auf New Yorks rührigster Kleinbühne, dem „Dixon Place“ in der Bowery Street, von einer Frau schon seit Jahren in einem etwas größeren Wohnzimmer betrieben. Dort erzählt sich Peggy Shaw in einer feministischen Variante mit Macho- Posen durch die Abgründe weiblicher Selbstfindung, lediglich eine kurze Tanzeinlage mit Leuchtschuhen zeugt noch von alten Performance-Ritualen.

Auch auf New Yorks wichtigster Performance-Bühne sind nur noch Spuren klassischer Performances zu sehen. Die PS 122 war eine von New Yorks Grundschulen und wurde – wie das ehemalige Postgebäude am Hudson River – Ende der siebziger Jahre besetzt. Die Public School mutierte zum Performance Space, heute sind hier zwei Bühnen, eine Galerie, ein Aids-Beratungszentrum und ein Kindergarten untergebracht.

An manchen Abenden laufen zwei Vorstellungen, Ende des Jahres sorgte die Engländerin Wendy Houston mit ihrem Gastspiel „Haunted, daunted and flaunted“ für eine kleine Überraschung. Die Tänzerin arbeitet mit Englands interessantester Tanztheatertruppe DV 8 Physical Theater zusammen und lieferte in der Performance- Hochburg einen klassischen Auftritt ab, wie er selbst in New York sonst nicht zu sehen ist. Zwei Stunden lang tanzte und sprach sie gleichzeitig, erzählte eine klaustrophobische Verfolgungsgeschichte mit körpersprachlichen Mitteln und ließ durchscheinen, daß Verfolgungsphantasien auch reichlich Nervenkitzel freisetzen können.

„Haunted, daunted and flaunted“ könnte man mit „Gejagt, erschreckt, zur Schau gestellt“ übersetzen. Eingeladen wurde die englische Performerin von Mark Russel, der die PS 122 leitet und Anfang 1997 alle bundesstaatlichen Kulturfördergelder in Höhe von 70.000 Dollar gestrichen bekam. Lakonisch meint Russel, man habe dann eben die Fund-Raising-Aktivitäten von einem Tag auf den anderen intensiviert und so das Budget wieder ausgeglichen. 300.000 Dollar bekommt die PS 122 inzwischen von privaten Sponsoren, 250.000 Dollar werden durch Eintrittsgelder eingespielt. Russel weist darauf hin, daß New Yorks OB Giuliani trotz seiner Saubermannpolitik genau wisse, wie wichtig die gesamte Off-Szene für New Yorks Ruf als Stadt der Künste sei. Er befürchtet nicht, die Kommune könne ihrerseits nun auch ihren Zuschuß von 13.000 Dollar streichen.

Hintergrund des rigiden Schwenks in der amerikanischen Kulturpolitik ist eine 200 Seiten starke Studie, „American Canvas“, die die Entwicklung staatlicher Kulturförderung untersucht und zu dem Schluß kommt, das staatliche Institut zur Förderung der Künste, das National Endowment for the Arts (NEA), fördere wesentlich mehr kulturelle Einrichtungen als noch vor dreißig Jahren. Die Zahl der geförderten Opernhäuser etwa stieg von 27 auf 120, aus 37 Tanztruppen sind 400 und aus 56 festen Schauspielensembles 425 geworden. Gut subventioniert, so die Tendenz der Studie, würden die Künstler eine elitäre Ästhetik pflegen, weitab vom Geschmack des Durchschnittspublikums.

Nicht gesagt allerdings wird in diesem Zusammenhang, daß zwar mehr Kulturinstitutionen gefördert werden, die Gesamtsumme der staatlichen Zuschüsse aber um ein Drittel reduziert wurde. Tatsächlich geht es in dieser Debatte also nicht um Geld, sondern um politisch genehme und nicht genehme Kunst und damit um eine weitere konservative Wende in Amerikas Kulturpolitik.

Man muß schon dankbar sein, daß das Kulturbudget für 1998, das der Kongreß soeben bewilligte, nicht unter dem der Vorjahre liegt. Insgesamt jedoch handelt es sich um nicht mehr als 98 Millionen Dollar, umgerechnet etwa 160 Millionen Mark, für die gesamte US- amerikanische Kunst. Den Rest müssen die Theater, Museen und sonstigen „elitären Kulturtempel“ der Weltmacht über Fund-Raising finanzieren.

Zum Vergleich: In Deutschland und in der Spielzeit 1995/96 erhielten nur die 154 Theater der Republik schon 3,6 Milliarden Mark vom Staat.

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