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■ NormalzeitGroße Kleinkunst in Berlin

Die Kleinkunst – das ist das ewige „noch nicht“, die Vorstufe zur nationalen, zur Weltkunst gar, eine endlose Kette von Verkennungen. Ständiges Bemühen! Daneben gibt es aber noch eine ganz andere, dem entgegengesetzte Kunst-„Richtung“ – sie will ein „Kleinwerden schaffen“. Gilles Deleuze spricht davon in seinem Text über Kafka, ebenso der Kafka-Forscher Klaus Wagenbach. Und Alexander Etkind bezeichnete das verfemte Werk von Michail Soschtschenko als „Kleinkunst“.

Über die Berliner Regionalliga hat unlängst Detlef Kuhlbrodt einen Tabellenstand in der Woche veröffentlicht, das heißt einige der hiesigen Kleinkünstler dort abgefeiert: Daggi Brundert und Thomas Kapielski zum Beispiel. Ich möchte hier nun noch die Kleinkunst-Kaderschmiede Ex & Pop hinzufügen. Immer wieder traten von dort – meistens gegen Morgen – hervorragende Kleinkünstler ins Freie. Sie arbeiteten sowohl vor als auch hinter der Theke.

Im Ex & Pop entstand jüngst sogar ein regelrechtes Kleinkunst-Förderwerk namens Konradin-Leiner-Stiftung. Benannt nach Kurt Leimer, auch „Fascho- Kurt“ genannt, weil er wie ein Neonazi herumlief und sich auch gerne so aufführte. Bis zur Wende war er Philosophiestudent in den FU-Seminaren von Kamper, Bolz und Böhringer, die man gut und gerne als seine „Schüler“ bezeichnen könnte, insofern sie von seinen Referaten (zum Beispiel zweihundert Seiten über den Film „Apocalypse Now“) profitierten.

Er war laut Böhringer „der Beste“ dort – und alle haßten ihn, schon allein wegen seiner ewig knarzenden Nazistiefel. „Drachenblut“ hieß dann seine Magisterarbeit (bei Kamper). Zusammen mit den Ex-&-Pop-Leuten Tom Lamberti, Frank, Krypton und Hu-Sen veranstaltete er eine Lesungstournee zur „Kritik der reinen Vernunft“. In der autonom betriebenen Schweinemensa (der FU) bot er mit Frank Wochenendseminare über Splatter-Filme an. Sie arbeiteten an einer „Hardcore-Theorie“, deren Leitwissenschaft die Pornographie sein sollte – mit Teresa Orlowski als Begründerin einer neuen „Hannoveraner Schule“. Zuletzt arbeitete Kurt als Autor beim kostenlosen Veranstaltungsmagazin der Zweiten Hand, 030.

Er heiratete gegen Bezahlung eine Nigerianerin. Von dem Geld kaufte er sich einen Porsche. Als er 1996 an einer Überdosis Heroin starb, bekam Krypton den Porsche, und Anthony Justice, der jüngste Sohn der Nigerianerin, erbte ein Haus, das Kurt zuvor von seiner Tante bekommen hatte. Sein restlicher Nachlaß (Texte, Videos, Musik und Comics) paßte zum größten Teil in einen Computer – und umfaßt etwa 40 Megabites. Laut Testament aus dem Jahr 1994, das Kurt mit einem blutigen Daumenabdruck signiert hatte, sollten sich die „Berliner Freunde“ darum kümmern.

Dazu gehörte auch noch eine Oberarmtätowierung. Da sich der Obduktionsarzt in Konstanz weigerte, sie auf Keilrahmen zu präparieren, mußte extra ein Stuttgarter Chirurg anreisen. Später, zur Beerdigung, reiste auch noch eine große nigerianische Abordnung aus Berlin an: „Mit einem ganz anderen Trauerverhalten als das Konstanzer Bürgertum“, wie einer der Trauergäste aus Berlin sich erinnert. Kurts Vater, Diethelm Leiner, ein schon früh erblindeter Philosoph, Freund von Heidegger, hatte Kunst gesammelt (Kubin, Macke, Kollwitz, Heckel und vor allem Karl Hofer).

Davon verkauften nun Kurts Mutter und seine Tante etliche wertvolle Stücke. Von dem Geld – eine knappe Million Mark – wurde hernach die Stiftung gegründet, die in Kurts Sinne wirken und ihm so einen „kleinen“ Nachruhm sichern soll. Im Kuratorium der Stiftung hat der Leiter der Pankower Literaturwerkstatt, Thomas, Sitz und Stimme. Er kennt die Kurt-Truppe seit ihrer Lesungstournee. Das Geld möchte er in ein „Literatur-Radio“ stecken. Vielleicht wird aber auch was ganz anderes daraus. Helmut Höge

wird fortgesetzt

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