: Provokation zur Aufhebung des Embargos
■ Iraks Staatsführung verweigert Waffeninspekteuren die Zusammenarbeit: Eine Taktik zur Schwächung der USA in der UNO
Berlin (taz) – Saddam Husseins Taktik hat sich bewährt. Am zweiten Tag in Folge konnte gestern ein Team der UN-Kommission zur Zerstörung der irakischen Massenvernichtungsmittel (Unscom) seine Arbeit nicht aufnehmen, weil die irakische Führung ihm die Kooperation verweigert. Begründung: In dem Team seien zu viele US-Amerikaner.
Bereits im vergangenen November hatte Iraks Staatschef einen Showdown am Golf riskiert. Damals ließ er UN-Waffeninspekteure mit US-amerikanischem Paß des Landes verweisen. Statt eines erwarteten Luftangriffs der USA folgten lange Debatten im UN-Sicherheitsrat, die vor allem eines zeigten: die einstige Golfkriegsallianz ist zerbrochen. Schließlich gelang es dem russischen Außenminister Jewgeni Primakow, einen Kompromiß auszuhandeln. Künftig sollten in den Unscom-Teams weniger US-Amerikaner sein. Saddam Hussein hatte damit einen kleinen Sieg errungen, und den will er jetzt vergrößern.
Wie es scheint, mit Erfolg: Als am Dienstag in New York der Weltsicherheitsrat tagte, forderte der US-Vertreter eine „starke Reaktion“ auf die irakische Provokation. Doch zahlreiche Mitgliedsstaaten, allen voran Rußland, sagten nein. Ein Beschluß kam nicht zustande.
Die Argumente der irakischen Staatsführung sind nicht schlecht. Zwar sind fast 20 Nationen an der Unscom beteiligt, jedoch besteht das beanstandete Team aus neun US-Bürgern, fünf Briten, einem Russen und einem Australier. Selbst UN-Generalsekretär Kofi Annan sei mit dieser Besetzung nicht glücklich, heißt es aus dem UN-Hauptquartier.
Auch die irakische Anschuldigung, der Chef des Teams, Scott Ritter, arbeite für den US-Geheimdienst, ist nicht abwegig. Bereits früher haben US-amerikanische Inspekteure im Irak ihr Wissen an die CIA weitergeleitet, unter anderem Informationen über die Beteiligung deutscher Firmen am irakischen Atom- und C-Waffen-Programm. Und Ritter, einst Mitglied der US-Marines, arbeitete während des Golfkriegs für den Militärgeheimdienst.
Iraks Affront gegen die USA ist schlau terminiert. Erst am Dienstag nahm das Land den Ölexport wieder auf. Laut dem mit der UNO ausgehandelten Deal „Öl für Lebensmittel“ darf der seit dem Überfall auf Kuwait 1990 unter einem strengen Embargo stehende Staat innerhalb von sechs Monaten Rohöl im Wert von zwei Milliarden US-Dollar verkaufen. Die Einnahmen sollen für den Kauf von Lebensmitteln und Medikamenten genutzt werden, ein weiterer Teil für Reparationszahlungen an Kuwait, die Finanzierung der Unscom und die Versorgung der Kurden im Norden des Landes.
Iraks Führung würde die Ölförderung gerne ausweiten – und dafür hat sie die Unterstützung internationaler Ölkonzerne. Immerhin lagern unter der irakischen Erde die zweitgrößten Erdölreserven der Welt. Russische, französische und chinesische Unternehmen haben in den letzten Monaten lukrative Verträge über die Ausbeutung der irakischen Ölfelder unterzeichnet. Laut Angaben aus Washington sollen im vergangenen Juni auch Vertreter der deutschen Preussag AG in Bagdad einen Ölvertrag unterzeichnet haben. Entsprechend arbeiten vor allem die Regierungen in Moskau, Paris und Peking hinter den UN-Kulissen an einer Aufhebung des Embargos – und Saddam Hussein an der dafür nötigen Schwächung der USA.
Fast in Vergessenheit gerät über dem amerikanisch-irakischen Machtkampf die irakische Zivilbevölkerung. Im November teilte das UN-Kinderhilfswerk Unicef mit, jedes dritte irakische Kind leide an Unterernährung. Die Caritas behauptet gar, als Folge des Embargos würden im Irak monatlich mehr als 4.000 Kinder sterben. Doch anders als das irakische Katz-und-Maus-Spiel mit Waffeninspekteuren hatten diese Berichte keine Sondersitzungen des UN-Sicherheitsrates zur Folge. Thomas Dreger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen