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„Ich denke mal, daß es gut laufen wird...“

Die Hanffabrik Zehdenick geht bald mit ihrem genadelten Vlies in die vollen: Nach mehrmonatigem Testlauf und der Produktion verschiedener Muster ist die Maschinenkonfiguration in sich stimmig. 1998 sollen bis zu 800 Tonnen Faserwerg verarbeitet werden■ Von Klaus Bruske

„Ich denke mal, daß es gut laufen wird, denn es gibt indessen ausreichend Leute, die großes Interesse an dieser uralten Naturfaser haben.“ Christian Krasemann, Geschäftsführer der Hanffabrik Zehdenick GmbH in der Treuhanf- Gruppe, gelegen im Landkreis Oberhavel, strahlt Ruhe und Optimismus aus. Dabei ist die Zukunft seines im nordostdeutschen Raum bisher einmaligen Spezialunternehmens nach oben hin offen. Immerhin hat die im Mai 1996 mit finanzieller Unterstützung der Treuhanf-Investitionsgesellschaft gegründete Firma den Markt für diese spezielle Variante ökologischer Industrietextilien zunächst angetestet, bereits sehr viele Muster, jedoch noch nicht im großen Umfang produziert. Erst in wenigen Wochen wird man technisch und organisatorisch so weit sein, in Zehdenick in die vollen zu gehen. Erst dann ist die Maschinenkonfiguration in sich stimmig. „An die 500 bis 800 Tonnen Faserwerg“, sagt Christian Krasemann, „planen wir noch 1998 zu genadeltem Hanffaservlies, hauptsächlich zu Dämmstoffmatten zu verarbeiten.“ Das gebe die Auftragslage bereits her.

Der ursprünglich in Chemnitz in Sachsen ausgebildete Maschinenbauingenieur aus Lychen in der Uckermark, der trotz seiner „weit über Vierzig“ unlängst in Berlin- Weißensee ein Zusatzstudium für Recht, Verwaltung und Betriebswirtschaft nachschob, schwelgt in Fachbegriffen. Von Non-Wowen- Technik (Nichtwebtechnik) ist da die Rede, von Lin-Öffnern oder aerodynamischer Wirrfaserverfliesung. Alles zusammen aber bildet eine aus verschiedenen Baugruppen zusammengesetzte Linie, ein rund zwei Millionen Mark teures Investitionsobjekt, das einzig und allein Cannabis sativa und seiner Veredelung in der sogenannten zweiten Verarbeitungsstufe dient.

Von ihren Zulieferern sammeln die Zehdenicker die Hanffasern in Längen zwischen 30 und 80 Millimetern zunächst ein. Verstärkt will Christian Krasemann in diesem Jahr auf Cannabis, der auf märkischer Erde wuchs, zurückgreifen. Zwei Brandenburger Faseraufschlußbetriebe, die Firma Nowotny in Prenzlau und die Naturfaser GmbH Pritzwalk-Sadenbeck in der Prignitz, hält er schon unter Vertrag. Die Rohstoffe für die ersten drei- bis viertausend Quadratmeter Probevlies, die im Sommer und Herbst 1997 die Lychener Werkhalle verließen, kaufte der Geschäftsführer noch zum geringeren Teil in den alten Bundesländern, zum größerem Teil in den östlichen Nachbarländern ein. Preis, Qualität, kurze Wege und Zuverlässigkeit des Lieferanten spielen da die vier ersten Geigen. Umgerechnet 80 Pfennig bis eine Mark das Kilogramm kostet Hanffaser aus Ungarn, wesentlich billiger, um die 55 Pfennig, ist ukrainischer, polnischer oder rumänischer Hanf. Auf 1,20 Mark das Kilo kommen die besten deutschen und internationalen Sorten.

Als Werg angeliefert, werden die Fasern sodann im Lin-Öffner von den letzten Schäbenresten gesäubert, gekürzt und gewickelt. Hierzu ist eine brandneue Vorbereitungsbaugruppe in Montage. Sie wurde von der Spezialfirma Temafa in Bergisch-Gladbach bezogen und macht die Non-Wowen- Vlies-Linie, die die Zehdenicker vor Jahresfrist in Schwäbisch-Hall einkauften, erst so richtig für die widerborstigen Hanffasern passend. Denn ursprünglich war diese spezielle Variante der Nicht-Weben-Technologie auf Flachsfaser getrimmt. Die berühmte Hutablage von Mercedes-Benz wurde auf ihr in Schwäbisch Hall viele Jahre lang aerodynamisch verwirrt, genadelt und gepreßt. Alsbald sollen in Brandenburgs nördlichem Havelland täglich bis zu 6.000 Quadratmeter Hanffasermatten die Werkshalle verlassen. Von zwei bis drei Millimeter bis zu maximal 12 Millimeter sind diese dick, bis zu 2,10 Meter breit und in jeder gewünschten Länge auf die Rolle zu rollen. „Wichtigste Eigenschaft unserer Naturfaserprodukte ist ihre biologische Abbaubarkeit“, merkt Christian Krasemann an. Aufgrund dieser umweltfreundlichen Eigenschaft erhalte die Matte – wie vergangenen Sommer im großen Umfang in einem Hamburger Gartenbaubetrieb erprobt – ihre Besonderheit als Geotextil. Bestens geeignet sei das Vlies etwa zur Wiederbesiedelung stark erodierter Böden. Es biete dem Saatgut und Keimlingen Halt und Heim und verrotte dann wie gewünscht zu Humus. Schwer zu übertreffen sei die genadelte Hanffaser aber auch als Schallschluck- oder Trittschalldämmung im Wohnbereich, etwa unterm noblen Parkett, als Polstermaterial in der Möbelindustrie, als Einweg-Fußbodenbeläge bei Ausstellungen und Messen, als Faserverbundwerkstoff im Automobilbau oder der Verpackungsindustrie. Ja selbst in die Orthopädiemechanik hätten richtig verarbeitete Cannabisfasern schon ihren Einzug gehalten, beispielsweise als Polstereinlagen für Schuhe oder für Prothesen.

„Ein thermisch mit Naturfasern gedämmtes Haus hat halt einfach einen höheren Behaglichkeitswert“, so Krasemann. Hanf sei hygroskopisch, gebe aber andererseits an seine trockene Umgebung wiederum Feuchtigkeit ab. Dadurch wirke er klimatisierend. Diese Eigenschaften besäßen die bisher üblichen Kunst- oder Mineralfaserdämmatten nicht.

Welcher Bau-, Polster- oder Gartenbaubetrieb ist bereit, sich mit den mit Zehdenick bundesweit nur fünf Hanffaservlies-Spezialanlagen auf den ökologischen Zukunftstrip zu begeben? „Meist nur kleinere Firmen und leider bisher fast ausschließlich nur in den alten Bundesländern“, charakterisiert Geschäftsführer Christian Krasemann sein Kundenspektrum. Er rührt daher zu Hause mächtig die Werbetrommel. Auf der Grünen Woche 1998 stellt sich die Hanffabrik Zehdenick mit einem eigenen Stand in der Halle für nachwachsende Rohstoffe vor.

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