Das Portrait: Der Korrektor von Boris Jelzin
■ Sergej Jastrschembski
Ein dreimonatiger Zyklus muß schon vergehen, bis Sergej Jastrschembski, Pressesprecher des russischen Präsidenten, mit einer bereits bekannten Krawatte erscheint. Als leidenschaftlicher Sammler wählt er Binder, Schlipse und Jabots selbst aus. Seit Jastrschembski im August vergangenen Jahres die Leitung des Pressereferats im Kreml übernahm, zogen Eleganz und Geschmack ein, wo sonst eher bäuerliches Feldgrau und Knitterfalten das Ambiente bestimmten. Ein Snob mit Stil.
Mit der Ernennung des ehemaligen Botschafters in der Slowakei ist Boris Jelzin eine glückliche Entscheidung gelungen. Der 44jährige Absolvent der Diplomaten-Kaderschmiede MGIMO bringt nicht nur eine repräsentable Hardware mit, er stellt auch die notwendige Software zur Verfügung und schickt die nicht immer glücklichen spontanen Äußerungen seines Chefs blitzschnell durch ein Sprachkorrektur-Programm: „Der Präsident hat mit seinen Ausführungen sagen wollen...“, lautet die druckreife Sinnlegung auf Grundlage eines ungereimten Originals. So geschehen zuletzt in Stockholm, wo der Präsident mal wieder im Alleingang abrüstete.
„Jastreb“, das Kürzel der Journalisten für den Mann mit dem unausprechlichen Namen, gehört zur jungen, westlich orientierten Riege um Vizepremier Anatoli Tschubais. Ins Außenministerium holte ihn 1992 der erste Minister fürs Auswärtige des nicht-kommunistischen Rußland, Andrej Kosyrew. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern genießt und sucht Jastreb den Umgang mit der Presse. Plumpe Vernebelungstaktik betreibt er nicht, der Kreml fing unter seiner Ägide an, die Unpäßlichkeit des Präsidenten offen zu benennen und zweckdienlich einzusetzen. Sprachjongleur Jastrschembski versteht es mit Charme, dem Publikum zu vermitteln, daß er in seiner Offenheit fast schon die Grenze des Vertretbaren überschreitet.
Der Krawattenmann hält sich zugute, ein reines Werkzeug in der Hand seines Herren zu sein, mit einem Wort: Beamter ohne politische Ambitionen. Daß dem nicht so ist, bewies Jelzins Entscheidung im Sommer, den dauerlächelnden Grandseigneur zu seinem außenpolitischen Chefberater zu ernennen. Gerüchte blieben nicht aus, er werde eines Tages die Nachfolge von Außenminister Primakow antreten. Klaus-Helge Donath
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen