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"Daß unser Flügel nach vorne drängt, kann man nicht sagen"

■ Im Streit um Eberhard Diepgen ist der liberale Flügel der CDU stillgeblieben. Drei Exponenten - Wolfgang Branoner, Monika Grütters und Peter Kurth - diskutieren über ihre schwache

Ende des Jahres hat der Parteivorsitzende Eberhard Diepgen den Aufstand der rechten Rebellen beendet, doch die Krise schwelt. Die Kritik an Diepgen und seiner Führungscrew ist längst noch nicht vom Tisch. Und wenn auf dem Parteitag im Februar die Vorstandsposten vergeben werden, sollen die Kritiker unter anderem mit Führungspositionen befriedet werden. Keine Rolle spielte in der Auseinandersetzung der liberale Flügel der Christdemokraten.

taz: Die innerparteilichen Diskussionen waren in den vergangenen Monaten von den Attacken der rechtsorientierten „Union 2000“ gegen den Regierenden Bürgermeister geprägt. Haben die Liberalen in der CDU dazu eine Position?

Monika Grütters: Die Diskussion bringt die Personen, um die es geht – Eberhard Diepgen zum Beispiel –, dazu, sich zu erklären. Das war auch nötig, darauf haben viele gewartet. Die Diskussion betrifft die ganze CDU. Denn es geht um Positionen, nicht nur um Personalia. Union 2000 wird ja gerne eher rechts der Mitte eingeordnet, und das ist eine Frage, mit der wir, die wir nicht zu den 2000ern gehören, uns beschäftigen müssen.

Peter Kurth: Ich habe das Anliegen von Union 2000 zunächst so verstanden, daß man über Profil, Erscheinungsbild und Kompetenzprofil der CDU in der Großen Koalition beunruhigt ist. Das ist ein berechtigtes Anliegen in einer Großen Koalition. Das Anliegen der Union 2000 hat sich allerdings viel zu früh auf Personalfragen konzentriert, das halte ich für einen Fehler. Und die Art und Weise, wie dann in der Öffentlichkeit gearbeitet wurde, ist unpolitisch bis ungeschickt.

Und warum redet dann niemand über das, was Sie Kompetenzproblem nennen, Herr Kurth?

Kurth: So funktioniert die politische Diskussion. Wenn man der Öffentlichkeit die Alternative gibt, sich über personelle Streitfragen auseinanderzusetzen oder über inhaltliche Felder, dann wird immer die Personalfrage genommen.

Grütters: Zumal einzelne Personen ja für eine bestimmte Ausrichtungen stehen. Deshalb hört man in der öffentlichen Diskussion und Bewertung – sie haben sich ja der innerparteilichen Kritik gar nicht gestellt –, sie sollen angeblich etwas rechts der Mitte stehen.

Kurth: Was sie mehrheitlich auch tun.

Wolfgang Branoner: Diese Gruppe versteht sich selbst als wertekonservativ.

Grütters: Dann wundert es mich, daß als Exponent der Gruppe immer Uwe Lehmann- Brauns genannt wird. Nur weil er sich in der Kritik an Diepgen positioniert hat. Und er galt bisher politisch nicht als rechts.

Branoner: Diese Gruppe ist nicht homogen. Da gibt es die einen, die den Standort der Partei nicht klar definiert gesehen haben. Und andere, die sich mit Personen nicht identifizieren können. Und schließlich diejenigen, die die Wiedervereinigung nicht verarbeitet gesehen haben. Der gemeinsame Nenner war die Unzufriedenheit. Erst durch die massive Ansage Diepgens zu kandidieren, ist nun der Ball zurückgespielt: Das Selbstverständnis dieser Gruppe, der Union 2000, steht auf einmal zur Diskussion: Sind wir rechts, sind wir links, stehen wir für ein Thema oder stehen wir nur für eine Personaldiskussion?

Teilen Sie auch Aspekte der jetzt formulierten Kritik?

Kurth: Es ist zumindest interessant, daß dieses Defizit so empfunden werden konnte, daß niemand zunächst dem Grundanliegen widerspricht. Es ist ja auch so, daß die inhaltliche Arbeit bei uns zu kurz kommt. Die Foren, die dazu da sind, kreisverbandsübergreifend bestimmte Themen weiterzuentwickeln, arbeiten überwiegend unbefriedigend. Der Landesparteitag hat sich in der Vergangenheit nicht dadurch hervorgetan, daß bestimmte Dinge intensiv diskutiert worden sind. Kaum daß die Rede des Landesvorsitzenden zu Ende ist, gehen viele bei uns Kaffee trinken. In dieses Defizit hinein kommt jeder mit einer Kritik.

Grütters: Da muß sich unsereins aber auch selbstkritisch den Vorwurf machen, daß wir nicht organisiert sind. Wenn es einen liberaleren Flügel gibt – und den gibt es mit Sicherheit –, müssen auch wir uns organisieren. Seit wir keinen Vertreter mehr im Senat haben (Volker Hassemer hat die Rolle vorher gespielt) tun wir uns schwer, uns thematisch und personell zu sammeln und zu finden.

Hört man deshalb so wenig über liberalere Ideen in der CDU im Gegensatz zur Union 2000?

Grütters: Ich glaube, es liegt daran, daß Union 2000 bewußt die Presse instrumentalisiert...

Branoner: Und rückinstrumentalisiert wird...

Grütters: ...das finde ich destruktiv. Statt sich der innerparteilichen Diskussion zu stellen, bleibt alles in Zirkeln, und dann wird die Presse eingeschaltet. Es gibt wenig Anlaß einer andersdenkenden Gruppe, das auch zu tun. Wir arbeiten ja auch nicht unter einem Label.

Branoner: Es geht ja auch nicht darum, in Gruppenkatagorien denken. Der Wunsch nach innerparteilicher Diskussion und Teilhabe ist etwas, das alle einigt. Es muß transparent sein, wie die Entscheidungen in der Tagespolitik entstehen. Bei beiden Gruppen besteht nun die Hoffnung, daß etwas in Bewegung gekommen ist – was sich personell um den Landesvorstand herum widerspiegelt.

Kurth: Was heißt denn jetzt „beide Gruppen“?

Grütters: Die 2000er und die Nicht-2000er.

Branoner: Ja genau, die 2000er und die Nicht-2000er. Ohne zu sagen, daß die Nicht-2000er eine Gruppe sind.

Grütters: Aber Wolfgang, ich weiß noch nicht einmal, wer die 2000er sind.

Kurth: Wissen wir denn, wer die anderen sind?

Grütters: Und angeblich haben die 2000er ja Mehrheiten.

Kurth: Ja, aber wer sind denn die anderen? Eine Volkspartei muß Vertreter verschiedener inhaltlicher Ausrichtung haben...

Und hat die Partei diese Vertreter?

Kurth: Ich habe viel Verständnis dafür, wenn Leute aus den östlichen Stadtteilen fragen: „Kommen wir in der Realität der CDU hinreichend vor?“ Ich habe großes Verständnis dafür, wenn die Junge Union viel dezidierter sagt: „Was ist eigentlich heute das Interesse der jungen Menschen?“ Die Frauenunion meldet sich häufig nur zu Wort, wenn es um Positionen geht. Da findet viel zuwenig statt. Die CDU braucht – so sie mehrheitsfähig sein will – in ihrem Vorstand auch einen dezidiert liberalen Flügel. Es gibt nicht nur zwei Gruppen.

Grütters: Pluralismus muß gewollt sein, nur so können wir uns als Volkspartei halten. Wenn ich auch Verständnis dafür habe, daß man Wählerschichten aus anderen Bereichen akquirieren möchte – unsere Zukunft liegt mit Sicherheit nicht nur in einer Umarmung potentieller Republikaner-Wähler.

Kurth: Was heißt „nicht nur“? Ganz sicher nicht. Wahlen werden jedenfalls in Deutschland immer in der Mitte gewonnen. Sie werden vielleicht an den Rändern verloren, aber in der Mitte werden sie gewonnen.

Branoner: Ja gut, aber man muß auch für diejenigen sprechen, die den Eindruck gehabt haben, daß dafür ein anderer Teil vernachlässigt wurde. Man braucht beides, und das ist ein unglaublicher Spagat, der bisher nur von der CDU bewältigt werden kann.

Grütters: Wir sind dabei aber nur glaubwürdig, wenn wir das intern auch praktizieren und nicht auf die jeweils anderen zeigen.

Aber gehen bei so viel Rücksichtnahme nicht liberalere Ideen in der Union unter?

Branoner: Wir würden uns und der Gesamtdiskussion keinen Gefallen tun, wenn wir jetzt nur diejenigen wären, die sagen: „Der liberale Flügel muß nach vorne.“ Das ist genau das, was die anderen tun, zu sagen: „Der rechte Flügel muß nach vorne.“

Kurth: Nur, daß der liberale Flügel in Berlin zu heftig nach vorne drängt, das kann man beim besten Willen nicht sagen. Bei aller Liebe. Ich habe viel Verständnis dafür, daß das Thema Innere Sicherheit eine große Rolle spielen muß, aber es ist nicht das einzige Thema.

Grütters: Oder Ausländerpolitik...

Kurth: Aber das ist eben ja genau die Frage...

Grütters: Wir haben die Ausländerbeauftragte Barbara John...

Kurth: Ja gut, aber bei einigen Leuten hat man ja fast den Eindruck, sie schämten sich dafür, daß die Ausländerpolitik in Berlin von einer engagierten und über die Stadt hinaus bekannten Christdemokratin geprägt wird. Als ich Frau John einmal in meinen Ortsverband eingeladen habe, ist jemand mit folgender Begründung ausgetreten: Er habe nie geglaubt, daß diese Frau in der CDU ist. Der Prozeß Volkspartei funktioniert nur, wenn es einen vernünftigen Meinungsstreit gibt.

An welchen Themen wollen Sie denn über Meinungen streiten?

Branoner: Die Zukunft des Bildungssystems, der Bildungspolitik, der Hochschulpolitik. Dies darf nicht ein Gegenstand der Sparüberlegungen bleiben, sondern muß ein Gegenstand von Strukturüberlegungen werden.

Grütters: Innerhalb der CDU gibt es eine ganz große Differenz zwischen den Nachwuchs – der RCDS und Teile der JU haben sich gegen Studiengebühren ausgesprochen – und der Mehrheit der Partei, die insgesamt dafür ist.

Kurth: Und die Zukunft der sozialen Sicherungssysteme. Außerdem ist es für Berlin eminent wichtig, daß wir uns endlich über die Rolle, die wir im Europa der Zukunft spielen werden, bewußt werden. Nur Deutschland kann den Ländern in Osteuropa den Weg hierhin ebnen. Und welche Stadt eignet sich hierfür mehr als Berlin. Und was machen wir daraus?

Und was machen Sie daraus?

Kurth: Zuwenig. Es ist kein Aufbruch zu merken. Und diesen Aufbruch kann nur die CDU schaffen, überlassen Sie das bloß nicht Rot-Grün.

Branoner: Man ist hier schnell geneigt, nach Visionen zu rufen. Solche Visionen sind aber zuwenig mit Argumenten untersetzt. Wir brauchen Konzepte und Personen, die in Zukunft dafür stehen. Viele Leute in Berlin sagen mir heute: „Ach wissen Sie, noch zwei Jahre, dann setze ich mich zur Ruhe, dann habe ich mein Lebenswerk vollbracht“. In den nächsten Jahren kommen aber auch viele neue Leute in die Stadt. Es wird einen Bruch geben, ein Übergang findet zuwenig statt.

Kurth: Wobei es mir nicht um die Tausenden Bundesbeamten, die nach Berlin kommen, geht. Wenn wir in der Stadt Internationalität wollen und sie auch dringend brauchen, dann müssen sich hier auch ganz andere Leute wohlfühlen. Und wenn Leute allein wegen ihres Aussehens oder anderer Dinge, die sie vom normalen Neuköllner unterscheiden, Angst haben müssen, S-Bahn zu fahren, dann hat diese Stadt ein Problem.

Grütters: Diese Stadt hat es aber weniger als andere Städte.

Kurth: Das ist nicht wahr.

Grütters: Doch.

Kurth: Es ist nicht wahr. In Frankfurt, Hamburg, Düsseldorf passieren bestimmte Dinge nicht, die in Berlin passieren. Ich vergleiche nicht mit brandenburgischen Kleinstädten, ich vergleiche mit den großen Städten in Europa.

Grütters: Berlin hat sich immer durch Ausländerfreundlichkeit, Toleranz und multikulturelle Gesellschaftssituation ausgezeichnet. Kurth: Na da rede mal mit 'nem „Betroffenen“ drüber...

Grütters: Wir sollten Berlin nicht schlechter reden, als es ist.

Kurth: Mache ich nicht.

Grütters: Also entweder hast du andere Zahlen oder eine andere Meinung. Ich denke, die Offenheit für Zugezogene war immer eine der Stärken Berlins. Wir sind verantwortlich dafür, daß wir diese Geisteshaltung pflegen, damit sie nicht kippt. Gespräch: Barbara Junge

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