piwik no script img

Im Riesenrad den Überblick behalten

■ Journale als Videos: Die Macher von „ak kraak“ und „Progressor“ sind durch Europa gereist und haben die Wirklichkeit aus der Sicht des Widerstands gesucht – sie haben sie gefunden

Es gab im vergangenen Jahr in Berlin zwei West-Projekte für neue Monatszeitschriften à la New Yorker, die sich über große Verlage (Burda und Gruner + Jahr) zu finanzieren versuchten. Für beide existierte hier jedoch (noch?) kein Markt. Dafür gibt es – von unten – schon seit längerem zwei Videojournale. Soeben erschien im Handel die 16. Ausgabe des Videomagazins „ak kraak“.

Die Gruppe hat sich im Sommer mit einem Lastwagen auf den Weg gemacht und in Deutschland, Österreich, Spanien und der Schweiz Widerstandsnester von jungen Autonomen besucht: In Thüringen hausten diese in den Bäumen und protestierten damit gegen den Bau einer Autobahn. An der Oder-Neiße-Grenze in einem Kommunikationszentrum, wo man sich über die Abschottung gegen den Armutsansturm aus der Steppe des Ostens einen Kopf macht. Am Starnberger See ging es dagegen um die örtliche Reaktion auf dort urlaubende Punker und Fixer. In Spanien besuchte das „ak kraak“-Mobil ein „intergalaktisches Treffen“. In Wien verschafften sie sich mit den dortigen Genossen einen Überblick vom Riesenrad aus. In Genf interviewten sie Hausbesetzer und im Wendland einige Beteiligte am Atomwiderstand. Am interessantesten fand ich eine Innsbrucker „Non-profit-Schlepperorganisation“ für illegale Grenzgänger in Gründung.

Der Ostberliner Dokumentarfilmer Jörg Foth bewundert an der „ak kraak“-Gruppe, daß sie es geschafft hat, ihr Magazin so kontinuierlich herauszugeben. Sein Videojournal „Progressor“, an dem vor allem seine Defa-Dok-Kollegen mitmachen wollten, litt bereits nach der ersten Ausgabe an Unkollegialität. Jetzt haben die Nichtfilmer Thomas Martin und André Meyer die Endfassung für die neue Ausgabe besorgt.

Unter anderem beinhaltet diese zweite „Progressor“-Lieferung einen Beitrag über den PDS-MdB Hanns-Peter Hartmann in Oberschöneweide und darüber, wie das BKA ihm jüngst seine Wohnung ruinierte. Dann Friedhofs-Impressionen bei der Beerdigung von Rudolf Bahro. Die Sprüche eines Lenin-Lookalikes auf dem Roten Platz. Witzigwitzig. Die Arbeit der Obdachlosenärztin Frau Torres de la Castro auf dem Hauptbahnhof und eventuell noch einen kommentierten Rundflug über die ehemalige V2-Erprobungsstätte Peenemünde.

In beiden Videojournalen geht es also um die Wirklichkeit heute – aus der Sicht des Widerstands und der Kritik. Im Osten geschieht dies jedoch eher in abgeklärt illusionsloser Künstler-Perspektive, im Westen sind die den Filmern wichtigen Widerständler dagegen alle jung und romantisch-terroristisch. Dementsprechend ist auch ihre Aufnahmetechnik, was eine gewisse Einheit von Kunst und Leben (noch?) garantiert. Helmut Höge

Kontakt: „ak kraak“, Torstraße 216, 10115 Berlin. Die neue Ausgabe des „Progressor“ wird am 26. Jan. um 20 Uhr im „Siemek“ (Rykestraße 45) gezeigt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen