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■ NormalzeitDas Gesetz von der Erhaltung der Gewalt

Am Bahnhof Lichtenberg stehen vier Chinesen. Sie wollen zum Bahnhof Zoo. Ich begleite sie in der S-Bahn. Sie ist voll, auf zwei Bänke haben sich zwei junge Leute hingeflegelt: biertrinkend, die Schuhe auf den Sitzen. Wir stehen. Niemand in der S-Bahn versucht, neben ihnen Platz zu nehmen. Ich überlege, ob ich sie bitten soll zu rücken, bin mir aber bewußt, daß ich dafür dem einen erst die Flasche entreißen und sie ihm über den Kopf schlagen müßte, dem anderen wahrscheinlich sofort danach ebenfalls. Wütend, aber hilflos tue ich gar nichts. „Hooligans?“ fragen mich die Chinesen, als die beiden ausgestiegen sind. Ich nicke zerknirscht und schäme mich. Die Ostler um uns herum schimpfen, daß wieder mal keine Polizei zur Stelle war, als man sie brauchte: „Früher gab es so was nicht!“

Einige Tage später erfahre ich, daß zehn Skinheads in der S-Bahn einen Chinesen übel zusammengeschlagen haben, der „polizeiliche Staatsschutz“ ermittelt. Was ist das denn? Eine neue Truppe – die West-Stasi nun? Kürzlich erzählte mir Biblab Basu, ein politisch engagierter Inder, daß er gerade fürs Fernsehen in den Oder-Grenzstädten einen Asylanten gemimt hätte – mit Erfolg: Dort würden die Taxifahrer jeden vermeintlichen Ausländer erst mal zur Polizei fahren, um ihn überprüfen zu lassen. Eine neue Art von Inoffiziellen Mitarbeitern! Zudem würde es dort von scharfen Schäferhunden nur so wimmeln. Am vergangenen Montag fahre ich spätnachts bei Glätte mit dem Auto von Schöneberg, Eisenacherstraße, nach Kreuzberg: dreimal komme ich an Riesenrazzien vorbei. Bei der ersten haben sie zwei Jungtürken aus ihrem Auto gezerrt, wahrscheinlich wegen Rauschgiftverdacht. Bei der zweiten haben sie – mit mindestens 15 Wannen – eine Türkendisco in der Potsdamer Straße hochgenommen. Und bei der dritten haben sie in der Yorckstraße eine ganze Reihe Türken an die Wand gestellt.

Ich sitze zu Hause und tippe, plötzlich klingelt es: draußen stehen zwei Polizisten. „Wissen Sie was über irgendwelche Russen, die hier wohnen?“ Ich bin weniger über die Frage verwundert und daß ich ausländische Mitbewohner verraten soll, auch noch ausgerechnet Russen, die ich ganz besonders schätze, als über das Aussehen dieser zwei Jungbullen: Absolut dieselben Typen wie die beiden Jungarbeitslosen in der S-Bahn! Wieder fühle ich mich hilflos und wütend. Es kommt aber noch dicker: Am Abend gehe ich über den dreifach verampelten Zebrastreifen der Wienerstraße zum Görlitzer U-Bahnhof. Plötzlich springen etwa 20 Polizisten in voller Kampfausrüstung hinter dem Kiosk hervor und umzingeln mich: Ich soll 10 Mark zahlen, weil ich bei Rot rübergegangen bin!

Das muß man sich mal vorstellen: Da werden drei Wannen voller ehemaliger Arbeitsloser aufgeboten, um uns in Kreuzberg in die Verkehrsregeln zu zwingen. Dabei gehe ich nie bei Grün über diese Kreuzung, weil die Autos oft nicht anhalten wollen oder – bei Glatteis – nicht können. Es ist ungefährlicher, bei Rot und freier Bahn rüberzugehen! Aber mach das mal diesen staatlichen Kampfbullen klar! Sie wollen mir sogar noch 50 Mark mehr aufbrummen, wegen Beamtenbeleidigung!

Als ich bei der Polizeipressestelle Näheres über diesen „Einsatz“ erfahren möchte, bekomme ich nur heraus: „Das Wort ,Wannen‘ mögen wir überhaupt nicht!“ Diese Mißgeburt von Wiedervereinigung beschert nun auch uns alles Miese und Widerwärtige aus der DDR („Es war ja nicht alles schlecht“)! Ich fahre mit der U-Bahn zum Alexanderplatz. Zwei Sicherheitskräfte mit Hunden steigen ein und der schwarze Köter des einen fällt mich sofort an. Er hat zum Glück einen Maulkorb um. Sein Herrchen reißt ihn zurück und entschuldigt sich bei mir. Ich blaffe ihn an. „Aber ich hab' mich doch entschuldigt!“ blafft er auf sächsisch zurück. Geschenkt, ich muß aussteigen und habe den Vorfall schon fast vergessen, da fällt mir eine Stelle aus Solschenizyns „Archipel GULAG“ ein: „Immer, wenn Konventionen über die allgemeine Abrüstung zur Debatte stehen, packt mich Unruhe. Denn niemand denkt daran, im Verzeichnis der zu verbietenden Waffen die Schäferhunde anzuführen. Den Menschen aber setzen sie im Leben ärger zu als alle Raketen!“ Helmut Höge

wird fortgesetzt

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