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Wand und BodenDer weiße Fetisch des Ausstellungswesens

■ Kunst in Berlin jetzt: Eduard Gorochowskij, Christine Erhard, John M. Armleder

1966 besucht der sowjetische Maler Eduard Gorochowskij das Ruhrgebiet. Kamen sieht bei ihm wie eine bunte Industrielandschaft mit farbenfrohen Schornsteinen aus, die sich kaum von den Kolchosen seiner sibirischen Heimat unterscheidet. Zeitgleich porträtiert er auch Arbeiter in geringelten Pullovern oder beim Lesen – ein wenig kubistisch verwinkelt zwar, aber doch dem Idealbild des sozialistischen Realismus freundschaftlich verbunden.

Der frühe Gorochowskij hätte als staatstreuer Künstler Karriere machen können, hätte er nicht 1972 in Moskau Ilja Kabakow getroffen. Ab da ändert sich sein Stil rasant: Statt mit Öl arbeitet Gorochowskij mit Siebdruck und rätselhaften Brieftexten, später organisiert er halb legale Ausstellungen. Auch das hat Folgen: Ende der siebziger Jahre wird der Nonkonformist als zionistischer Agent denunziert und verliert seine Anstellung als Kinderbuchillustrator.

Die Retrospektive mit Werken von 1957 bis 1997 im Haus der Wissenschaft und Kultur der russischen Föderation zeichnet eine Biographie nach, die vermutlich exemplarisch ist für Künstler aus der ehemaligen Sowjetunion. Vor 20 Jahren noch verfemt, gilt Gorochowskij heute als Klassiker einer Moderne, die offiziell so niemals stattgefunden hat. Entsprechend ist die Ausstellung auch „Archäologie der Bilder“ benannt, wobei die Arbeiten tatsächlich auf Fotomaterial der Jahrhundertwende zurückgehen. Vielleicht war es die Hinwendung zu solchen privaten Mythologien, auf die der Staat mit Berufsverbot reagierte. Die offene Kritik am System dagegen wird erst mit der Perestroika zum Thema. Dann wirkt das aus kleinen Lenin-Ikonen gedruckte Stalin-Porträt von 1989 allerdings ziemlich um Soz Art bemüht.

Bis 15.2., Di.–Fr. 14–18, Sa./So. 12–18 Uhr, Friedrichstr. 176–179

Verwirrt hüpfen zwei ältere Besucherinnen zwischen den Fotos von Christine Erhard hin und her. Die eine hält „Blick in die Ausstellung“ für eine Sammlung aus unscharfen Schnappschüssen im Museum, die andere glaubt, daß das Ganze raffiniert am Computer zusammengeschnipselt worden ist. Sie haben beide recht: Die 28jährige Düsseldorferin beschäftigt sich in der Galerie Bodo Niemann mit Bildmanipulation am Beispiel von Kunstinszenierungen. Das ist natürlich alles sehr hip und auch dem Gegenstand angemessen.

Ähnlich wie der Fotokünstler Thomas Demand arbeitet Erhard mit Modellen, deren gebastelten Ursprung man in der Vergrößerung kaum mehr wiedererkennt. Bei Erhard kommen zur Miniatur jedoch noch diverse Bearbeitungsschritte hinzu: Mal fügt sie in der Art technischer Collagen Bildausschnitte aneinander, retuschiert Ecken und Winkel oder gibt dem Ganzen ein helles Finish aus Neonlicht. Mal schneidet sie auch irgendwelche Passanten aus Alltagsaufnahmen aus, um sie in ihre künstlichen Räume hineinzusampeln, so daß plötzlich drei junge Leute mit Rucksäcken auf einen weißen Vorhang losmarschieren, weil es in diesem imaginären Museum sonst auch gar nichts zu sehen gibt.

In der Regel stehen die Figuren aber eher planlos vor den ohnehin leeren Vitrinen, denn in der Kunstwelt von Christine Erhard dreht sich alles um den white cube als Fetisch des Ausstellungswesens. Dieser Idee werden sämtliche Szenen untergeordnet, selbst typische Familien- oder Wohnungssituationen lösen sich im konzeptuellen Scherenschnitt auf. Surreal fährt ein Mann mit seinem Staubsauger über eine milchige Fläche, die mehr an eine Eisbahn als an Teppichboden erinnert. So starrt man auf lauter Splitter aus der Wirklichkeit, die sich nicht zu einem perspektivisch überkomplexen Hyperraum ergänzen, sondern wie Puzzlesteine ausgebreitet sind. Wenn man sie alle zusammengesetzt hat, kommt trotzdem nur eine sich unendlich wiederholende Oberfläche heraus.

Bis 28.2., Di.–Fr. 13–19, Sa. 12–18 Uhr, Hackesche Höfe, Rosenthaler Straße 40–41

Mag sein, daß sich John M. Armleder ein gewisses Sunnyboy- Gemüt seit den frühen siebziger Jahren erhalten hat. Seine Arbeiten zumindest sehen bunt, elegant, einfach und immer noch federleicht aus. Für die Ausstellung in der Galerie Mehdi Chouakri hat der 1948 in Genf geborene Objektkünstler den vorderen Raum mit elliptischen Kreisen abwechselnd blau und rot ausgemalt, so daß die Sache einen ziemlich halluzinatorischen Effekt erzeugt. An Verweisen mangelt es dabei nicht: Man kann die Kuller als Zitat von Warhols Brillo- Boxen interpretieren oder als Dekonstruktion des Royal-Air- Force-Logos. Oder auch bloß als minimalistische Wandmalerei mit hohem dekorativem Wert – schließlich sagt er von sich selbst: „Zweifellos bin ich in erster Linie Maler.“ Wie auch immer, seine zusätzlich präsentierten „Furniture Sculptures“ spinnen den Faden zwischen Kunst und Kommentar fort. Auf mannshohe Preßspansockel hat Armleder formschöne DDR-Wäschetruhen aus den Sixties gestellt, die eine jeweils im gleichen Farbton gehaltene, monochrom bemalte Leinwand verdecken. Damit kehrt er die Hegemonie der gehobenen Ausstellungspraxis um, macht das schmucklose Nutzholz zum Blickfang und rückt das Designerstück ins Zentrum, während das originäre Kunstobjekt verschwindet.

Doch selbst in dieser Variante hält sich Armleder ein Hintertürchen offen. Dann handelt die Arbeit womöglich davon, wie sehr Möbel und Sockel den zeitgenössischen Diskurs um Ambiente und soziale Interaktion dominieren – Duchamp sei Dank. Besonders pfiffig sind in diesem Vexierspiel zwei große blau- und gelbgetönte Plexiglasscheiben, die durch ein paar zarte Eingriffe an den Kanten so verbogen wurden, daß sie nun von selbst stehen. So viel Mut zur Transparenz haben derzeit nur wenige unter den jungen Raumgestaltern.

Bis 28.2., Di.–Fr. 14–19, Sa. 13–17 Uhr, Gipsstraße 11 Harald Fricke

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