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■ Bill Clinton wird die Krise überstehen und mit sozialreformerischen Projekten erfolgreich an die Anfänge seiner Regierungszeit anknüpfenDer Coach des amerikanischen Volkes

Der „halbe Präsident“, wie ihn die Zeit in ihrer jüngsten Ausgabe nennt, hat seine jährliche Rede zur Lage der Nation gehalten – und war voll bei der Sache. Typisch Clinton: Bislang hat er bei jedem Skandal oder Skandälchen Watschen eingesteckt und dabei ein Gesicht gemacht, als hätte er sie – stellvertretend für die 68er-Generation – verdient. Bis dann der Punkt kommt, an dem er sich auf seinen Ruf als ungekrönter Comeback-König der amerikanischen Politik besinnt.

Ein Verfahren zur Amtsenthebung – das weiß neben Clinton auch sonst jeder in Washington – ist allein deshalb kaum vorstellbar, weil die Republikaner Al Gore unter keinen Umständen die Chance geben wollen, sich zwei Jahre vor den nächsten Präsidentschaftswahlen als Chef im Weißen Haus zu profilieren. Ein Rücktritt Clintons wäre nur vorstellbar, wenn es Sonderermittler Kenneth Starr gelänge, das Objekt seines Verfolgungswahns wegen Meineids vor Gericht zu zerren. Schafft er das nicht, wird Clinton seine Amtszeit zu Ende führen – und die Affäre wird im öffentlichen Gedächtnis bald unter der Rubrik „Slick Willy“ abgelegt sein.

Es lohnt sich also, einen genaueren Blick auf seine politischen Ziele und Vorhaben zu werfen. Rund 60 Millionen AmerikanerInnen sahen und hörten am Dienstag den wohl ersten Präsidenten der Geschichte, der in seiner Amtszeit einen gigantischen privaten Schuldenberg aufgrund von Anwaltskosten angehäuft hat und gleichzeitig dem Land den ersten ausgeglichenen Haushalt seit 30 Jahren ankündigt. Dieses Kunststück wird voraussichtlich 1999 dank signifikant höherer Steuereinnahmen, einiger buchhalterischer Tricks, Strafgeldern seitens der Tabakindustrie sowie Einsparungen im Sozialbereich gelingen. Kleiner Exkurs in die Ironie der Geschichte: Die Demontage des bundesstaatlichen Sozialhilfesystems – verknüpft mit einem Kreuzzug gegen das angeblich Moral und Sitten gefährdende Sexualverhalten von Müttern unehelicher Kinder – hat „Slick Willy“ aktiv mitbetrieben. Jetzt hat ihn die puritanische Welle selbst naß gemacht.

Verzeihen kann man ihm den Kniefall vor der christlichen Rechten nicht. Aber die chamäleonhaften Wandlungen passen sowohl zu Clinton wie auch zu einer Zeit, da die größte außerparlamentarische Bewegung, die Druck auf Regierung und Parlament ausübt, eine religiös-erzkonservative ist.

Doch in den letzten beiden Jahren seiner Amtszeit will Clinton noch einmal an die Anfänge anknüpfen. Die Vision eines Bundesstaates als Garant „fairer Chancen“ für alle und eines effizienten Coaches, der seine Bürger für das Zeitalter der Gobalisierung fit macht, hat er in seiner Rede am Dienstag, wenn auch in sehr eingeschränkter Form, wiederaufgelegt. Dieses Konzept lebt von unzähligen kleinen Programmen – angefangen bei kleineren Schulklassen bis zu Verbraucherschutzgesetzen oder Internet-Anschlüssen in allen Schulen – und einem großen Projekt. 1993 wollte er mit der Reform des Gesundheitswesens etwas Neues schaffen – und scheiterte kläglich. Es begann statt dessen von konservativer Seite der „Krieg“ gegen das Defizit und jenen Schuldenberg, den die Republikaner unter Ronald Reagan ganz ungeniert gen Himmel hatten wachsen lassen.

Und es begann die Kampagne gegen die Clintons. Die nie bewiesenen Vorwürfe, in einen dubiosen Immobiliendeal – Stichwort Whitewater – verwickelt zu sein, tauchten auf, als das Weiße Haus mit der Jahrhundertreform auf Kosten der Versicherungskonzerne ernst machen wollte. Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern politics as usual und ein Lehrstück über Machtverhältnisse.

Dieses Mal will Clinton mit der Bundesrentenversicherung (social security) etwas Bestehendes retten – ein Programm, das bei aller Aversion gegenüber dem Staat höchst populär ist. Alle zukünftigen Haushaltsüberschüsse sollen bis zur Reform des Systems in den Rententopf fließen, der zu versiegen droht, wenn die Baby Boomer in den Ruhestand gehen. Die Republikaner wollen das Geld zur Gegenfinanzierung von Steuererleichterungen verwenden. Wer am Ende gewinnt, entscheidet in diesem Jahr, in dem alle Mitglieder des Repräsentantenhauses und ein Drittel des Senats neu gewählt werden, maßgeblich Amerikas stärkste und immer größer werdende Lobby: die Rentner und Pensionäre. Und die dürften sich weniger für 21jährige Praktikantinnen im Oval Office als für die rentenpolitischen Vorschläge des 51jährigen Präsidenten und seiner Partei interessieren.

Wofür nicht nur sie, sondern auch die Mitglieder des Kongresses sich zunehmend weniger interessieren, ist die Außenpolitik. Bill Clinton hat es seit den Kongreßwahlen 1994 mit einer neuen Generation von Abgeordneten und Senatoren zu tun, die politisch nicht mehr durch den Kalten Krieg und das Feindbild Kommunismus geprägt sind – und entsprechend wenig Interesse an der Pflege von Bündnissen und eine ausgesprochene Antipathie gegen supranationale Organisationen haben – vom IWF bis zur UNO.

In dieses Bild paßt durchaus die überparteiliche Unterstützung für einen Militärschlag mit „intelligenten Raketen“ gegen chemische und biologische Waffenlager im Irak – egal, was der Rest der Welt dazu sagt. Washington befand sich übrigens schon auf Eskalationskurs mit Bagdad, bevor der US- Präsident durch die aktuelle Affäre durcheinandergeschüttelt wurde. Nicht daß Clinton unfähig wäre, zwecks Aufbesserung der Zustimmungsraten in den USA ein paar Bomben im Ausland fallen zu lassen. Das hat er im Sommer 1993 mit einer militärischen „Strafaktion“ gegen den Irak bewiesen, mit der er kurzfristig das Image des Weichlings und Sympathisanten der Schwulenbewegung abzustreifen vermochte. Doch dieses Mal geht es schlicht darum, das Ende einer Sackgasse, in die sich die US-Politik gegenüber dem Irak manövriert hat, mit militärischen Mitteln weiter nach hinten zu verschieben: Kein Ende der Sanktionen, solange Saddam Hussein an der Macht ist, heißt die Devise Clintons. Das weiß auch Saddam, der wiederum nichts mehr zu verlieren und mit jedem US-Militärschlag nur noch zu gewinnen hat: die Sympathien der arabischen Nachbarn.

Womit also könnte Bill Clinton in die Geschichte eingehen? Als der erste Präsident, der eine Zivilbevölkerung zum Versuchskaninchen für die militärische Zerstörung biologischer und chemischer Waffen gemacht hat. Das wäre allerdings ein Grund, zurückzutreten. Andrea Böhm

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