: Ohne Konzept für die Zeit nach einem Bombardement
■ Bill Clinton sitzt in der Falle: In seiner Nahost-Politik kommt er keinen Schritt voran, in der arabischen Welt hat er an Reputation verloren. Ein Militärschlag würde Saddam eher stärken
Die Dramaturgie erinnert an einen Grünen-Parteitag. Wenn nicht, dann ... – werden wir die Koalition kündigen, zum Wahlboykott aufrufen oder doch noch eine Revolution machen. Drohungen, einmal ausgestoßen, haben die Tendenz, zu Selbstverpflichtungen zu werden. Egal ob es Sinn macht oder nicht, schon die eigene Glaubwürdigkeit gebietet es, keinen Rückzieher zu machen.
In dieser Lage befinden sich die USA gegenüber dem Irak. Aus Erfahrung weiß man, daß diese Politik darüber hinaus die Gefahr in sich birgt, daß immer die andere Seite den Zeitpunkt der Auseinandersetzung bestimmen kann. Im Falle USA/Irak heißt das, wann immer Saddam Hussein es für opportun hält, kann er die USA in die Falle ihrer eigenen Drohungen laufen lassen. Zur Zeit hält er es für opportun. So paradox es auf den ersten Blick scheinen mag, agiert Iraks Diktator tatsächlich aus einer Position der Stärke gegenüber einer geschwächten Supermacht USA. Die USA sitzen auf den Trümmern ihrer Nahost-Politik, und Saddam Hussein schickt sich an, ihnen den Rest zu geben.
Nach dem zweiten Golfkrieg 1991 definierten die USA drei Ziele im Nahen Osten. Erstens: Sicherheit für Israel. Aufgrund ihres überragenden Einflusses glaubte die damalige Bush-Regierung, die sich im Gegensatz zu Clinton auf ausgewiesene Kenner der Szene stützen konnte, sowohl in Israel als auch gegenüber den arabischen Staaten durch Druck und Überredungskunst einen tragfähigen Frieden durchsetzen zu können. Zweitens sollten durch ein doppeltes Containment Iran und Irak soweit isoliert werden, daß sie regionalpolitisch bedeutungslos sind. Dadurch sollten drittens die mit den USA verbündeten Golfstaaten, vor allem Saudi-Arbien, stabilisiert werden.
Clinton hat diese Ziele übernommen und ist offenbar mehr noch als sein Vorgänger davon überzeugt, sie im Alleingang durchsetzen zu können. Daß sich in Israel eine hauchdünne Mehrheit für Netanjahu und gegen Peres entschied, kann man schlecht Bill Clinton anlasten. Nur rächt sich jetzt, daß die US-Nahostpolitik auch danach unverändert so tat, als gäbe es in Israel noch eine Koalition, die Frieden mit den Palästinensern und den arabischen Nachbarn suchte.
Weil Clinton sich aus innenpolitischen Zwängen oder falscher Einschätzung oder auch eigener Überzeugung nicht traute, zu Netanjahu auf Distanz zu gehen, gerieten die USA im Nahen Osten mehr und mehr in die Isolation. Es wird lange unvergessen bleiben, wie Madeleine Albright in Dohuk vergeblich auf die arabischen Teilnehmer der von ihr einberufenen Wirtschaftskonferenz wartete, während wenige Tage später dieselben Staaten sich alle zum islamischen Gipfel beim Erzfeind in Teheran versammelten.
Nicht nur der wirtschaftlichen Integration Israels im Nahen Osten war damit eine eindeutige absage erteilt, auch die Containment-Politik gegenüber dem alten Erzfeind Iran war für alle Welt erkennbar gescheitert. Kein Wunder, daß Saddam Hussein schon im letzten Herbst die Gelegenheit gekommen sah, auch den Status des Irak entscheidend zu verändern. Damals nutzten erst einmal die Russen die Schwäche der USA, um sich auf der Weltbühne zurückzumelden. Die Wiederzulassung von UN-Inspektionen konnte Rußlands Außenminister Primakow als Erfolg verbuchen, den Saddam Hussein dem alten Verbündeten geschickt zuschanzte. Jetzt fordert Saddam seinen Preis, und der Augenblick ist günstig.
Clinton kommt in Jerusalem keinen Schritt weiter und hat in den arabischen Hauptstädten dramatisch an Reputation verloren. Die Nachbarn des Irak sind offenbar davon überzeugt, daß die USA mit ihrer bisherigen Linie im Irak nicht weiterkommen und plädieren längst wieder für eine neues Arrangement mit Saddam Hussein. Die irakische Bedrohung wird von den arabischen Nachbarn einschließlich Kuwait und Saudi- Arabien längst nicht mehr als so ernst empfunden, daß sie einen neuerlichen Militärschlag rechtfertigen würde. Im Gegenteil, eine Beteiligung an Militäraktionen würde die arabischen Staaten im Moment nur destabilisieren, weil deren Bevölkerung einen Angriff auf den Irak vehement ablehnt.
In den arabischen Ländern wird das Elend der Bevölkerung im Irak, die ja tatsächlich die eigentlich Leidtragenden des Embargos sind, mit ganz anderen Augen gesehen als in Europa oder den USA. Und daß Saddam Hussein gegen UN-Resolutionen verstößt, wird angesichts des permanenten israelischen Verstoßes gegen UN-Resolutionen schon gar nicht als Grund für einen Angriff akzeptiert. So kann Saddam Hussein sicher sein, daß er der eigentliche Sieger nach Abschluß der US- Bombardements sein wird. Je schlimmer diese Bombardements ausfallen, je mehr irakische Zivilisten sterben werden, je grauenhafter die Bilder von zerstörten Wohnvierteln sein werden, um so größer der Sieg Saddam Husseins.
Dabei ist es höchst unwahrscheinlich, daß Clinton wenigstens sein erklärtes Kriegsziel erreicht. Alle Experten gehen davon aus, daß durch Luftangriffe – und seien sie noch so massiv – nicht alle Waffenkammern und Lagerstätten von Gift- und Biowaffen vernichtet werden können. Am Ende erhält Saddam Hussein auch noch die Gelegenheit, triumphal eine Scud- Rakete in Richtung Israel abzuschießen. Netanjahu hat sich bisher nicht gerade durch kluge Zurückhaltung ausgezeichnet. Im letzten Golfkrieg hat die israelische Regierung den USA das militärische Feld überlassen. Der jetzige Chef in Jerusalem will dies nicht tun. Israel könnte zurückschlagen, der Nahe Osten stünde vor einem neuen Krieg. Saddam wird das nicht schrecken, er hätte dabei nichts zu verlieren. Verlieren würde der Rest der Welt, allen voran die Menschen in Israel und den arabischen Ländern. Jürgen Gottschlich
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