Kommentar: Glaubwürdigkeitsverlust
■ Nahost: Die USA wollen keinen Druck auf Israel ausüben
Nichts kann die „Glaubwürdigkeitslücke“ der USA überbrücken. Sie zwingen Saddam Hussein einerseits mit massiven militärischen Drohungen zu Wohlverhalten. Zu Recht. Doch was dem einen billig, ist dem anderen recht. Wo ist also der amerikanische Druck auf Israel, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen? Warum soll Palästinenserpräsident Jassir Arafat einen bescheidenen Teilrückzug Israels akzeptieren, ohne die Aussicht auf einen eigenen Staat? US-Außenministerin Madeleine Albright wird große Probleme haben, diese Position in den arabischen Ländern zu erläutern.
Es ist das alte Dilemma. Die US-Regierung muß sich entscheiden, ob sie die Bibel als Grundbuch für die Lösung des Nahostkonflikts akzeptiert oder das Osloer Abkommen. Bislang hat sie sich an die Bibel gehalten. Doch dabei muß es nicht bleiben. Netanjahu hin oder her, er kann den Frieden nicht schließen mit den Palästinensern, aus persönlicher wie parteipolitischer Disposition. Das wissen die USA. Und wie weiter? Genau das wissen die USA nicht. Sie setzen auf Kompromisse, die nicht tragbar sind. Die Unterschiede zwischen Netanjahu und Arafat sind derzeit nicht überbrückbar. Und sie werden es auf absehbare Zeit auch nicht sein. Deshalb gibt es keine Lösung und keinen Fortschritt im Friedensprozeß, sondern einen Stillstand. Die israelische Rechte ist nicht bereit zu einem Kompromiß mit den Palästinensern. Daran wird sich über kurz oder lang nichts ändern.
Derzeit wird Arafat nicht mit einer neuen Intifada drohen, doch ausgeschlossen ist sie nicht. Immer wieder haben Palästinenser auf dieses Mittel zurückgegriffen, um ihren Widerstand offiziell zu bekunden. Und nichts deutet daraufhin, daß sie davon Abstand genommen haben. In der Tat ist es die einzige Möglichkeit, die ihnen bleibt, um den israelischen Pressionen entgegenzutreten. Doch die Bereitschaft zu einer neuen Intifada ist gering. Zu sehr sind damit die Verluste der vergangenen Jahre verbunden. Auch wenn die generelle Opferbereitschaft groß ist und die Hoffnung auf einen eigenen Staat Kräfte mobilisiert, die bislang im Dunklen verborgen waren, ist die Wahrheit hart. Und bekannt. Der Verlust auf palästinensischer Seite wird nach einem militärischen Schlagabtausch groß sein. Ob er es auch wert war, das werden nicht nur die Historiker fragen. Georg Baltissen
Bericht Seite 2
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