: Wandelnde Identitätskrise
Wie deutsch darf Techno sein? Ruhig ein bißchen mehr, meint Wolfgang Voigt alias Mike Ink, der sich als Anselm Kiefer der elektronischen Musik inszeniert. Sein Spiel mit belasteten Kulturcodierungen eröffnet einen Zauberberg an Assoziationsfeldern ■ Von Jochen Bonz
Er nennt seine Tracks „Suche nach so etwas wie deutscher Musik“ und präsentiert sie mit dem Werbeslogan „Musik aus Deutschland“. Warum? „Ich persönlich habe ein Bedürfnis nach Identität in dieser Richtung“, antwortet der Kölner Technoproduzent Wolfgang Voigt. Und obwohl er einschränkend hinzufügt, es handele sich dabei um „kein politisches, sondern ein klangliches, ästhetisches Motiv“, ist klar: So weit hat sich schon seit einiger Zeit keiner mehr aus dem Fenster gelehnt. Erst recht kein Vertreter einer so sprachfernen Musikform wie Techno.
Voigt, Mitte 30 und nach eigener Aussage alt genug, um nicht zu wissen, was er tut, ist mit seiner Suche nach den „eigenen Wurzeln“, seinem „Interesse am deutschen Kulturkreis“ und dem Versuch, „herauszufiltern“, was man an einigermaßen belasteten Musiken wie Marschmusik und Polka „gut finden kann“, dabei, den Begriff Techno-Autorenschaft aufzublasen zur konventionellen Größe von „künstlerischer Persönlichkeit“. Ein Begriff, der ihm ebenso zusagt wie Provokation. Daß in der Instrumentalisierung von Bezeichnungen wie Deutschland und Nation in den 90er Jahren und im neuen Deutschland eine andere Qualität liegt als noch vor gut einem Jahrzehnt, als in der bildenden Kunst die Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte provozieren konnte, findet er nicht. Auf seinem Weg, sich als Post-Techno-Künstler zu situieren, läuft er mitten rein in einen nationalen Diskurs. Schließt diesen an die kleinen Welten von Techno und Hipster-Musikliebhaberei an.
Vorliebe für stalinistische Bauten
Dabei ist Voigt für ganz anderes bekannt geworden: für hybridere Formen von Techno-Autorschaft. Für offene Formen, in denen sich die ursprüngliche Anonymität der Technoproduzenten als ins Vielfache aufgespaltener Kern bewahrt hatte. Voigt führte eine zeitweise kaum zu überschauende Vielzahl von Pseudonymen mit sich, seit er, wie viele seiner Generation, in Acid-House Ende der 80er eine Befreiung von den Einschränkungen des Musikmachens in Bands erfuhr. Pendelte permanent hin und her zwischen eher an Acid orientierten Ästhetiken und Minimal-Techno. Eine „wandelnde Sinnkrise“, wie es im Techno-Buch von Anz und Walder 1995 heißt, das ihn auch als Dadaisten mit Vorlieben für stalinistische Bauten und vegetarisches Essen beschreibt. Als einen, der verrückt genug ist, regelmäßig kurz vor dem Durchbruch die Notbremse zu ziehen und sich neu zu erfinden.
Voigt – mehr Scheme denn Gestalt. Immer im Umbruch. Ein Mann, der Spex keine Interviews gibt, um sich der Festlegung auf eine Vorstellung von traditioneller Popmusikautorschaft zu entziehen. Der nur digital bearbeitete oder sonstwie inszenierte Fotos zur Veröffentlichung freigibt. Der einen auf Distanz hält, wenn man ihm in Köln über den Weg läuft. Etwa im von ihm 93 mitbegründeten Urplattenladen aller Technoplattenläden, dem Delirium, in dem das Spiel mit Namen ebenfalls hochgehalten wird – seit Anfang des Jahres heißt der Laden Kompakt. Der Mann ist woanders zu Hause, entrückt. Über Techno- Kreise hinaus wurde Voigt 96 zum ersten Mal als ernst zu nehmender Musiker wahrgenommen. Als „Love Inc.“ veröffentlichte er das Album „Life's A Gas“, das nicht nur im Titel an Marc Bolan und T. Rex anspielte, sondern überhaupt den Versuch unternahm, musikalische Vorbilder aus den 70ern, insbesondere Glamrock, auf der Grundlage von Techno zu reformulieren. Bereits wenige Wochen später wurde das Ambient-Album „Gas“ nachgeschoben.
Voigt gründete, zusätzlich zum bereits existierenden Label Profan, die Veröffentlichungsplattform Studio 1 für ausschließlich eigenproduzierten Minimal-Techno. Die darauf veröffentlichten Tracks waren lediglich mit Farben bezeichnet. Auf Warp erschien eine „Polka Trax“ genannte EP. Überhaupt erschien immer mehr und unter immer neuen Pseudonymen, hinter denen bis vor kurzem lediglich ein weiteres Alias auszumachen war: Mike Ink.
Pseudonyme gegen die zweite Haut
Jetzt sagt er, diese zweite Haut sei geradezu „besitzergreifend“ geworden. „Mike Ink“ habe zu sehr für „Party, Euphorie, Spaß“ gestanden. Er mußte das loswerden. Wie überhaupt alles weggewischt werden muß, was zu eindeutig definiert zu sein scheint. Beispielsweise auch sein Pseudonym „Grungerman“, unter dem seine Remixversion von Andreas Doraus „Girls in Love“ letztes Jahr in französische Charts gelangte.
Heute nennt sich Voigt – vermutlich in Anspielung an Anselm Kiefer – Blei, Dom, Tal, Gas und, schließlich, Wolfgang Voigt. Namen, die frei sind von mit seinen Faibles Glamrock und Acid verbundenen Konnotationen. Die alle nur für das eine stehen: Voigts Interesse an „nationalen Motiven“. Als Tal veröffentlichte er vor wenigen Wochen auf der Harvest-Compilation „In Technicolor“ einen Ambient-Track, der sich aus Zither- und Alphorn-Samples zusammensetzt. Als Dom erscheint demnächst seine Single „Fackeln im Sturm“, eine Art Reanimation der zwischen Hippie-Issues und „ZDF-Hitparade“-Kompatibilität in Widersprüche verstrickten Schlagergestalt Juliane Werding.
Überhaupt Schlager. Kommt man mit Voigt erst mal ins Gespräch, dann kommt er über einen. Dann redet er von britischen Zitatpop-Bands wie ABC und Scritti Politti. Dann spricht er von den „ganz wichtigen Einflüssen“ der 80er und der Schwierigkeit, diese als Nicht-Brite zu verarbeiten. Dann erscheint sein Projekt einer Beschäftigung mit deutschen Kulturtraditionen als der Versuch, das Konzept britischen Zitatpops, mit Codierungen zu spielen, auf die eigene „Erlebniswelt“ (Schlager, Volksmusik, auch Wagner, auch Stockhausen) zu übertragen. Die Postmoderne als Urszene.
Einen Aktualisierungsschub erfuhr sein Vorhaben, als Protagonisten der Detroiter Techno-Szene damit anfingen, sich in einer – naheliegenden – Tradition von Funk zu verorten. Da beschloß Voigt, die Ästhetiken von Techno und Deutschland „aufeinander loszulassen“. Die „Egerländer in die Disco zu bringen“. Musik zu suchen, „die umpta-umpta, die buffta-buffta macht und trotzdem groovt“.
In diesen Tagen erscheint nun zum ersten Mal auf Albumlänge ein Umsetzungsversuch dieses Vorhabens. Als „Gas“ beziehungsweise „Wolfgang Voigt für Blei“ veröffentlicht er seinen „Zauberberg“: Ein Berg an Assoziationsfeldern, der zwar nachdrücklich seinen Versuch in Szene setzt, in der Beschäftigung mit deutschen Traditionen „die Historie zu verfälschen“, umzuformulieren, was „natürlich unangenehm besetzt“ ist. Der dabei aber vor allem zum Ausdruck bringt, wie derartige Umformulierungsversuche zum Zwecke des Herausdestillierens einer für Identifikationszwecke brauchbaren Essenz zum Scheitern verurteilt sind.
Voigt wendet im „Zauberberg“ die von ihm – in Abgrenzung zum mit Detroit-Techno verbundenen Arbeiten mit analogen Synthesizern – proklamierte Technik des „Verschneidens von Samples“ auf klassisches Material an: Streicher- und Hornpassagen aus Werken Wagners werden fragmentiert und zu amorphen, hin und her wabernden Gestalten gefügt. Schwermut über alles. Von Wagnerscher Dramatik bleibt nur eine Erinnerung. Kaum Pathos, kein Heroismus. Oder, wie Voigt meint: „Die Knochen sind rausgenommen.“
So weit will er gehen im Akt, die Geschichte zu verfälschen. Als Gas nimmt er die Knochen raus aus den Leichenbergen, indem er das Punk-, New-Wave-, Zitatpop- Spiel mit der englischen Zweideutigkeit von „Gas“ („Gaudi“ sowohl wie „Gas“) auf die Spitze treibt. Und freilich haut das nicht hin, weil der Nationalsozialismus stärker ist als Voigt. Viele gute Gründe für Schwermut.
Fließendes Klangplasma
Wie konsequent Voigts Umdeutungsversuch Wagners gedacht ist, zeigt der Promotext. Da ist keine Rede von Thomas Manns „Zauberberg“-Roman von 1924, statt dessen wird Voigts „Zauberberg“ nicht nur als Hommage an Wagner, sondern auch an zwei Vertreter der Zweiten Wiener Schule verkauft, Arnold Schönberg und Alban Berg. Zauberer mit Namen Berg – und Juden. Wobei besonders Alban Berg die große Referenz darstellt, wird dessen Musik doch in der Regel als „fließendes Klangplasma“ bezeichnet. Der „Zauberberg“ will Gas-Zauber sein: Aus Wagner, dem Nazi-Verehrten, will Voigt einen Juden machen – und überführt damit seine Identitätssuche als Ding der Unmöglichkeit. Ohne Nazigreuel ist deutsche Identität nur für Magier zu haben. Ein Ding für Samples verschneidende Techno-Autoren. Und auch die verbrennen sich bei diesem Spiel leicht die Finger.
Dieses Scheitern ist jedoch nicht der einzige Gewinn, wenn auch der wichtigste. Indem Voigt selbst bei dieser Herzensangelegenheit Autorschaft über die Verwendung mehrerer Namen dermaßen offen gestaltet, eröffnet er ein weites Feld für Hermeneutik. So kann der „Zauberberg“ durchaus und gegen Voigts Intention als Soundtrack zum Roman gehört werden. Oder besser noch: als in diesem Fall historische Übertragungsleitung. Zu offensichtlich sind die Parallelen zwischen der hier Darstellung findenden Konfusion und derjenigen von Thomas Manns Protagonist Hans Castorp.
Konfusion, im einen Fall adoleszente zu Beginn des Jahrhunderts, im anderen künstlerische, intellektuelle am Ende des Jahrhunderts. Beides mal mit Zusammenhang mit Nationalismen (Erster Weltkrieg, deutsche Identitätssuche). Beides mal von Sehnsucht durchzogen, die sich als beschleunigter Herzschlag als Zeichen für Castorps In-Liebe-Fallen mit der Krankheit bzw. als pulsierendes Beat-Pochen äußert.
Schwermut am Ende des Jahrhunderts
Hat Voigt womöglich in der Geschichte, in der deutschen Kultur, einen Gefühlszustand entdeckt, der adäquat ins Heute paßt? So könnte man delirieren wie Deleuze, Namenspatron des Labels Mille Plateaux, auf dem der „Zauberberg“ veröffentlicht wird, sagen würde. Und Deleuze gibt dazu auch noch einen Dietrich an die Hand: In seiner Beschreibung der postmodernen Gesellschaft, der „Kontrollgesellschaft“, greift er auf den Begriff „Gas“ zur Bezeichnung der Gestalt der in ihr aktiven Machtausübungsmodi zurück. Tückische, schwer angreifbare Machtverhältnisse, die Schwermut als eine angemessene Reaktion provozieren.
Voigt jedenfalls geht es nicht besser als allen Autoren. Sein Werk sagt viel mehr, als er sagen möchte. Vor allem aber: Sinnkrise is here to stay.
Gas: „Zauberberg“ (Mille Plateaux/EFA)
Diverse: „In Technicolor“ (Harvest/EMI)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen