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„Polizei ist immun gegen richterliche Kontrolle“

■ Rainer Wolf, Sprecher der Fachgruppe Strafrecht in der Neuen Richtervereinigung, war 15 Jahre lang Ermittlungsrichter in Stuttgart. Er glaubt nicht, daß die Justiz den Lauschangriff entschärfen kann

taz: Herr Wolf, kann die Justiz beim Lauschangriff das Schlimmste verhüten? Immerhin muß jede Wanze von einer spezialisierten Kammer mit drei RichterInnen genehmigt werden. Polizei und Staatsanwaltschaft haben dabei keine Eilbefugnis.

Rainer Wolf: Zuviel Hoffnungen sollte man sich da nicht machen. Auch ein Richtervorbehalt kann nicht dafür sorgen, daß rechtstaatliche Zumutungen wie der Lauschangriff unbedenklich werden.

Einverstanden. Aber man kann doch sagen, daß der Richtervorbehalt beim Lauschangriff recht stark ausgestaltet ist...

Das Grundproblem bleibt die Abhängigkeit der Richter von der Polizei. Die Polizei kann Informationen geheimhalten, manipulieren und die Richter sogar bewußt täuschen. Im Bereich der heimlichen und konspirativen Ermittlungen ist sie gegen richterliche Kontrolle nahezu immun. Das ist meine Schlußfolgerung aus einer mehr als 15jährigen Tätigkeit als Ermittlungsrichter.

Sie halten den Richtervorbehalt im polizeilichen Ermittlungsverfahren also für unreformierbar?

Das habe ich nicht gesagt. Es wäre schon viel gewonnen, wenn Richter nicht nur bei der Anordnung einer Lauschaktion beteiligt wären, sondern auch den gesamten Verlauf kontrollieren müßten. Dann könnten sie das sofortige Ende des Lauschangriffs anordnen, wenn der Zweck der Maßnahme erreicht ist oder diese offensichtlich unergiebig ist. Auch unzumutbare Auswirkungen auf Unbeteiligte könnten so leichter ausgeschlossen werden.

Bestimmte Berufsgruppen – ÄrztInnen, AnwältInnen und JournalistInnen – werden ja etwas besser gegen Lauschaktionen geschützt. Hier müssen die Richter später noch einmal überprüfen, ob das Abgehörte wirklich im Prozeß verwendet werden darf.

Der Schutz dürfte gering sein, denn die Lauschaktion selbst wird ja dadurch nicht verhindert. Es wird nur geprüft, ob die Verwertung der Erkenntnisse im Prozeß „verhältnismäßig“ wäre. Das werden die Gerichte aber in der Regel annehmen. Schließlich will der Gesetzgeber das Lauschen ja auch gegen diese Berufsgruppen ausdrücklich zulassen. Die Gerichte können dann nur noch Extremfälle aussortieren.

Sie würden bei diesen Berufsgruppen also lieber erst gar keinen Lauschangriff zulassen, wie bei PfarrerInnen und Abgeordneten?

Das wäre natürlich besser. Ausgehöhlt wird durch den Lauschangriff aber auch das Zeugnisverweigerungsrecht von Ehegatten, Kindern und anderen Angehörigen. Es wundert mich, daß darüber noch nicht diskutiert wird.

Ein Beispiel, bitte.

Die Ehefrau wird auf der Polizeiwache vernommen, macht aber von ihrem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch. Zu Hause, in der überwachten Wohnung, erzählt sie dann ihrem Mann von der Vernehmung und spricht mit ihm auch über die Tat. Vor Gericht wird nun ein Mitschnitt dieses Gesprächs als Beweismittel gegen ihren Mann benutzt, und die Frau kann das nicht verhindern.

Kann es nicht unverhältnismäßig sein, Gespräche aus der Wohnung, aus dem heimischen Schlafzimmer vor Gericht auszubreiten?

Nein, denn das Zeugnisverweigerungsrecht der Angehörigen schützt eben nicht die Intimität der heimischen vier Wände. Es schützt nur davor, öffentlich gegen besonders nahestehende Personen aussagen zu müssen. Das Vorspielen eines heimlich aufgenommenen Bettgeflüsters ist deshalb wohl immer möglich.

Der Lauschangriff soll „letztes Mittel“ sein, früher war dies die Telefonüberwachung. Führt diese Aufrüstung des Staates nun dazu, daß das Abhören des Telefons immer selbstverständlicher wird?

Hemmungen bei der Telefonüberwachungen sehe ich schon lange nicht mehr. In keinem demokratischen Staat wird soviel mitgehört wie bei uns.

Stellen wir uns vor, ein Verdächtiger redet am Telefon oder in seiner Wohnung über kriminelle Taten, die der Polizei noch gar nicht bekannt sind. Kann das dann auch gegen ihn verwendet werden?

Auch solche „Zufallsfunde“ sind vor Gericht verwertbar. Wie wir von der Telefonüberwachung wissen, sind sie häufig sogar das eigentliche Ziel von Abhörmaßnahmen. Denn in den allermeisten Fällen spielte die Tat, wegen der die Überwachung beantragt wurde, vor Gericht gar keine Rolle mehr – weil man andere, besser beweisbare Dinge gefunden hat.

Und was ist mit unbeteiligten Dritten? Ist die Großmutter des Verdächtigen auch dran, wenn sie in der überwachten Wohnung erzählt, daß sie regelmäßig Parfümfläschchen klaut?

Hier kann das Tonband zwar nicht vor Gericht vorgespielt werden, weil es sich nur um leichte Kriminalität handelt. Möglich ist aber trotz dieses Verwertungsverbots, daß die Polizei nun die Wohnung der Großmutter durchsucht, die Parfümfläschchen findet und die überraschte Frau unter Vorhalt der abgehörten Äußerungen zum Geständnis auffordert.

Letztlich kann der Lauschangriff also jeden, der sich in einem überwachten Raum unvorsichtig äußert, vor Gericht bringen...

Ja, die „Zufallsfunde“ bilden eines der größten Probleme beim Lauschangriff. Interview: Christian Rath

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