■ Peking wirft Dissidenten raus, der aus den USA im Alleingang nach China reiste, um im Untergrund eine demokratische Partei zu gründen: Der falsche Mut des Dissidenten
Peking wirft Dissidenten raus, der aus den USA im Alleingang nach China reiste, um im Untergrund eine demokratische Partei zu gründen
Der falsche Mut des Dissidenten
Der Zeitpunkt war gut gewählt. Während in Peking die Jahrestagung des Parlaments naht, während also die Reformer in der Kommunistischen Partei hinter verschlossenen Türen versuchen, die Mitbestimmungsmöglichkeiten zu erweitern und die Wahl des Hardliners Li Peng zum Parlamentsvorsitzenden zu behindern, dachte sich der Menschenrechtler Wang Bingzhang in Amerika, daß das Böse in China ohne Umschweife bekämpft werden müßte.
Wang wußte, was zu tun war. Was kümmert einen „50jährigen Veteranen der chinesischen Demokratiebewegung“, als der er nun von der Nachrichtenagentur Reuters beschrieben wird, was in Peking auf der politischen Tagesordnung steht: Kleinkram wie zum Beispiel die Vorbereitung eines neuen Forschungsgesetzes, das der parteilose Biologieprofessor Chen Zhangliang vor das im März tagende Parlament bringen will. Chen, der ein Institut für Gentechnologie an der Peking Universität leitet, ist seit kurzem Mitglied des Volkskongresses, weil die Regierenden merkten, daß ihre Kapazitäten für eine intelligente Forschungspolitik nicht ausreichten. Das Mitwirken des unabhängigen Wissenschaftlers am Gesetzgebungsprozeß bürgt dabei für jene politische Öffnung, von der Dissidenten wie Wang nichts wissen wollen. „China braucht eine Revolution“, diktierte der heimgekehrte Troublemaker gestern den westlichen Medien ins Mikrophon. In den Tagen zuvor war Wang ausgezogen, um in China eine neue Partei zu gründen. Genau das gestattet das Machtmonopol der Kommunisten nämlich nicht.
Über Nacht wurde der Unbekannte zum Helden. „Wangs Plan war eine der bislang mutigsten Aktionen gegen die Herrschaft der Kommunistischen Partei“, trompetete die Nachrichtenagentur AP. Die International Herald Tribune widmete dem Ein-Mann- Kommando prompt eine Titelgeschichte. Als Wang, der Ende Januar mit einem falschen Paß über die portugiesische Kolonie Macau nach China eingereist war, schließlich von den chinesischen Behörden festgenommen wurde, folgte gleich darauf der zweite Alarm: In Hongkong sprach die englischsprachige South Chinas Morning Post gestern von einer neuen „Verhaftungswelle“, die Regimekritikern in China drohe. Nun mußte auch das amerikanische Außenministerium Stellung beziehen. Sprecher James Foley sorgte sich in Washington offiziell um die „Festnahme des Demokratie-Aktivisten Wang“.
Das war allerdings eine Sorge zuviel. Schon gestern traf der hochgejubelte Möchtegern-Revolutionär wieder in Los Angeles ein. „Ich war bereit, ins Gefängnis zu gehen“, bekannte er. Doch die bösen Kommunisten hatten ihn einfach zurückgeschickt.
Rückblickend zeugt nun der Fall Wang Bingzhang vom seltsamen Umgang der westlichen Öffentlichkeit mit der Demokratie in China: Langsame Reformprozesse wie die Entwicklung des zunehmend unberechenbareren Volkskongresses werden kaum wahrgenommen. Sie sind es jedoch, die die politische Wirklichkeit im Reich der Mitte schon heute verändern. Das erwähnte Forschungsgesetz würde Tausenden von Wissenschaftlern freiere Arbeitsmöglichkeiten geben. „Mutige“ Dissidenten hingegen, die dem chinesischen Regime auf spektakuläre Art und Weise die Stirn bieten, sorgen bei uns auch dann noch für Schlagzeilen, wenn niemand in der chinesischen Öffentlichkeit die Affäre bemerkt und der einmal erkannte Held aus undurchschaubaren Motiven handelt.
Wang Bingzhang war Szenekennern schließlich kein Unbekannter. Doch die westliche Öffentlichkeit verfährt, als sei jeder chinesische Dissident ein Wei Jingsheng – jener Regimekritiker, der 18 Jahre für seine politischen Überzeugungen im Gefängnis verbrachte, bevor er im vergangenen November ins amerikanische Exil entlassen wurde.
Die chinesischen Dissidenten um Wei waren es dann auch, die gestern am heftigsten gegen die publizitätsheischende Reisestrategie ihres Gesinnungsgenossen Wang protestierten. Wang hatte während seines kurzen unerkannten Aufenthalts in China andere Regimekritiker ohne Vorwarnung besucht und damit in Verhaftungsgefahr gebracht. Tatsächlich wurden mindestens sieben Personen, die Kontakt zu Wang hatten, in den vergangenen Tagen vorübergehend festgenommen oder verhört. Von einer Verhaftungswelle konnte freilich keine Rede sein.
Die Odyssee des Wang Bingzhang zeugt aber darüber hinaus von einer neuen, intelligenteren Oppositionsbekämpfung der Pekinger Regierung. Sie läßt die westliche Öffentlichkeit mit den Dissidenten allein – in der Gewißheit, daß deren gemeinsames Selbstunterhaltungskonzept auf Dauer zum Scheitern verurteilt ist. Georg Blume, Peking
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