Analyse: Zug um Zug
■ Minister Matthias Wissmann will beim Schienennahverkehr sparen
Seit zwei Jahren organisieren die Bundesländer den Nahverkehr auf der Schiene selbst. Als Ausgleich für diese neue Aufgabe hat ihnen der Bund jährlich 12 Milliarden Mark bezahlt – bisher. Doch wieviel es künftig sein wird, ist unklar. Denn das Gesetz schreibt eine Überprüfung sowohl der Gesamtsumme als auch der Verteilung auf die Länder zum Jahreswechsel 1997/98 vor. Das Verkehrsministerium hat einen Gesetzentwurf erarbeitet, der die Überweisungen kürzen will: Etwa 725 Millionen Mark weniger als bisher sollen die Länder in den nächsten vier Jahren bekommen.
Grundlage der Berechnung ist die Studie eines Wirtschaftsberatungsinstituts. Das fand im Auftrag von Verkehrsminister Matthias Wissmann heraus, ob die Verkehrsleistung – gemessen in gefahrenen Kilometern und der Qualität der Züge – die gleiche Qualität hat wie beim Fahrplan 1993/94. Die Prüfer kamen zu dem Schluß, daß eine ganze Reihe Länder heute die Fahrgäste besser bedienen als in alten Zeiten. Auch die Bahn AG meldet, daß ihre Nahverkehrszüge heute 50 Millionen Zugkilometer mehr zurücklegen als vor vier Jahren. Wissmann schlußfolgert daraus: Die Länder brauchen heute für die gleiche Leistung wie einst weniger Geld. Verkehrspolitisch vorbildliche Länder wie Rheinland-Pfalz, das fast 25 Prozent mehr Züge fahren läßt als vor der Reform, sollen viele Millionen weniger bekommen. Auch Baden- Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen und das Saarland wären betroffen. Profitieren würde Niedersachsen, das keine Zuwächse beim Bahnverkehr hat.
Der CDU-Verkehrsminister in Bonn sieht sich einer Protestwelle auch von schwarz regierten Ländern ausgesetzt, seit er seinen Vorschlag an die Länderkollegen verschickt hat. „Eindeutig dagegen“, hat Bayern bereits gemeldet. Und auch die Große Koalition in Stuttgart will mit „Nein“ stimmen. Lehnt der Bundesrat das Gesetz ab, ist es gescheitert. Läßt sich die Länderkammer dagegen auf einen Vermittlungsausschuß ein, kann die Bundesregierung den dann ausgehandelten Kompromiß mit Kanzlermehrheit durchs Parlament bringen. „Es besteht die Gefahr, daß die Länder gegeneinander ausgespielt werden. Am Schluß stünde dann insgesamt ein Minus für den Nahverkehr auf der Schiene“, sagt der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Ali Schmidt.
Fest steht: Eine Kürzung der Regionalisierungsgelder würde vor allem Leute in strukturschwachen Gebieten weiter abhängen. Schon heute begünstigen die Bahntarife die Bestellung von vielen Zügen auf den Hauptstrecken. Die Bedienung der Nebenstrecken ist dagegen extrem teuer. Jahr für Jahr werden deshalb Hunderte Gleiskilometer stillgelegt und die Fahrpläne ausgedünnt. Bei sinkendem Budget werden die Länder vor allem hier sparen. Annette Jensen
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