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Rockhistorische Schwämme

■ Guided By Voices bringen gut 500 LowFi-Stücke und viel Budweiser mit

Mit Bier kennen Guided By Voices sich aus. „Möglichst viel trinken, wo immer es geht“, hat sich die Band aus Dayton in Ohio vorgenommen. Die fünf Musiker halten sich meistens dran. „Wir sind an Quantität interessiert, nicht an Qualität“, verkündet Bassist Jim Greer nicht ohne Stolz. Beim kalorien- und alkoholarmen Budweiser light als Lieblingsmarke glaubt man ihm gerne.

Was die Songs angeht, scheint es ebenfalls die Masse zu machen. Seit 1986 haben GBV zehn Alben veröffentlicht, dazu etliche Singles und EPs, das meiste auf obskuren Kleinstlabels. Doch das ist nur ein Bruchteil von dem, was Bandleader Robert Pollard bislang komponiert, oder soll man besser sagen: ausgestoßen hat. Bis zu 500 Stücke schrieb der ehemalige Grundschullehrer in manchem Jahr. Selbst jetzt, wo er „sein Tempo gedrosselt hat“, so Greer zur taz hamburg, sind es immer noch mehr als 100. Ramsch ist kaum dabei, dafür etliche Kleinode.

Kein Wunder, daß man bei solch einem Output flugs in der LoFi-Ecke landet, was formal gesehen so falsch nun wieder nicht ist. Die meisten Songs – auch die immerhin 28 des jüngsten Werks Alien Lines – sind knarzige, in der Regel nicht einmal zwei Minuten lange 4-Track-Aufnahmen, die in Pollards Haus entstehen. Morgens beim Frühstück die Idee gehabt, eine Stunde später ist das Stück schon aufgenommen – so schnell geht das. Muß es auch, das nächste wartet ja schon.

Mit den Becks, Sebadohs oder Polvos dieser Erde wollen GBV trotz ähnlicher Arbeitsweise nicht in einen Topf geworfen werden. Es reicht ihnen schon, daß MTV sie als Homerecording-Götter anpreist: Die neuen „Loser“ wollen sie definitiv nicht sein. „Wir mögen den LoFi-Sound, aber die ganze Attitüde drumherum ist nicht unser Bier“, wird Greer kurzfristig zum Abstinenzler. Viele ihrer Kollegen, wenn sie denn welche sind, gehen ihm zu intellektuell an die Sache ran: „Bei uns entsteht alles spontan, vieles unbewußt.“

Der Künstler, dem die Einfälle einfach so zufliegen, läßt grüßen: einer, der über Jahrzehnte Musik aller Spielarten in sich aufgesogen hat, die später wieder ungefiltert herausperlt – bei Pollard unüberhörbar Beatles, The Who und jede Menge Psychedelic. GBV als rockhistorischer Schwamm gewissermaßen, ein fast schon idealistisches Bild, das die fünf Mittdreißiger kreieren wollen. Legitim, wenn's der Abgrenzung dient.

So unbeeinflußt, wie GBV gerne tun, sind sie natürlich nicht. Sehr wohl haben sie registriert, daß LoFi schon lange am Wendepunkt angelangt ist. Doch in den kollektiven Schwanengesang wollen sie nicht miteinstimmen. Die Vierspur-Sackgasse liegt nicht in ihrer Fahrtrichtung. So setzen sie sich langsam – auch von der eigenen Geschichte – ab, in dem sie für die Produktion des neuen Albums „We sang the horse-whistle“ Steve Albini und Kim Deal von den Breeders, die Verlobte Jim Greers, verpflichteten. Die Hälfte der Songs sind 24-Spur-Aufnahmen. „Eine natürliche Entwicklung“, sagt Greer, für den ersten Auftritt in Hamburg kurz unterbrochen. Schraddelig-rockend wie ehedem werden sie sein, haben sie angekündigt. Und viel Bier wollen sie trinken. Doch Obacht: Deutsches Bier ist stärker als der Ami-Fusel. Clemens Gerlach

mit Chavez und Tocotronic am:

Mi, 23. 8., Markthalle, 20 Uhr

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