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Ahnung von Ewigkeit

■ Franziskanerschwestern und Kapuzinerbrüder laden ins badische „Kloster zum Mitleben“ ein Von Silvia Plahl

Vorhin zum Beispiel, vorhin war Schwester Miriam im Trainingsanzug beim morgendlichen Meditieren und Stretchen in der Klostergruft. Natürlich hab' ich auch heimlich gestaunt – und wie alle stillschweigend wieder ein Stück vom „Mythos Kloster“ in mir begraben. Nur Peter aus Mosbach knipst wie wild weiter für seine Dia-Show zu Hause: „Die Freunde draußen werden Augen machen.“

„Nimm ein Kopftuch mit“, hatte mir meine Mutter mit auf den Weg gegeben. – Am Rande von Stühlingen, einem badischen Flecken an der Südspitze des Schwarzwaldes, ruht ein 250 Jahre altes, U-förmiges Gebäude auf einem Plateau am Hang: das Kapuzinerkloster. Hier, gleich neben dem Krankenhaus, residieren fünf Kapuzinerbrüder und drei Franziskanerschwestern. Sie laden zum Mitleben ein. Mit dem Slogan „Einmal hinter Mauern schaun“ tut dies in diesem Jahr eine ganze Reihe von Klöstern in Deutschland zum ersten Mal – im weißgetünchten Ordenshaus in Stühlingen lebt man seit zwölf Jahren davon.

1994 sind über tausend Gäste hierher gekommen, Studierende vor allem, aber auch viele, die deren Eltern sein könnten. Sie alle wollen wissen, wie's hier zugeht, und versprechen sich Erholung. „Man kommt gut raus“, sagt Martina nach einer Woche und schluckt. Sie ist 25, Medizinstudentin aus Hamburg, Protestantin. Niemand fragt hier nach der Konfession.

Und doch – im Kloster sein heißt: beten. „Wir erwarten dich im Chorraum hinter der Kirche“, lese ich auf der Pinwand in meiner Zelle, wo die Bibel auf dem Schrank bereitsteht. Der Tagesablaufplan sagt mir schon, wo's langgeht, und da gibt es kein Entrinnen: „6.30 Uhr Betrachtung / Leibübung, 7 Uhr Laudes, dann Frühstück, Arbeitszeit, 12 Uhr Mittagsgebet, anschließend Mahl, 15.30 Uhr Gruppengespräch, 17.30 Uhr Vesper, Stille Zeit, 19 Uhr Abendessen, 20.15 Uhr Rekreation, 21.30 Uhr Komplet, anschließend (22 Uhr, d. A.) Nachtruhe“. „Man entscheidet sich halt, den Alltag der Ordensleute ganz bewußt mitzumachen, und dieser regelmäßige Rhythmus, der hat was.“ Ralph-Peter kommt hierher nach Hause.

Wir anderen brauchen unsere Zeit. Wo war noch mal die kleine Steintreppe runter in die Meditationsgruft? Kaminzimmer? Turmzimmer? Man kann sich problemlos verirren in den langen, dämmrigen Klosterfluren, von denen immergleiche Holztüren abgehen. Auch die Sütterlinaufschriften „Oratorium“ oder „Refektor“ helfen nicht weiter – kaum jemand weiß, was dahinter steckt. Die größte Herausforderung aber ist das Stundenbuch, der kleine, rote Band mit den Stundengebeten und Psalmen. Zwei, drei Tage dauert es im Schnitt, bis nicht mehr verschämt und irritiert in dem Büchlein hin- und hergeblättert wird, während die Routiniers bereits im Chor den Lobgesang des Zacharias und das Magnificat rezitieren: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter.“ Und manches geht einfach nicht über die Lippen. „Einige Sachen bet' ich net mit, weil die mir nix sagen“, gesteht mir Martina aus Oberbayern. „Am Anfang hab ich mir schon gedacht, was ist jetzt los, wenn ich als einzige net mitbete – ob die mich da rausschmeißen können? Aber ich hab gemerkt, daß es geht.“

„Wer kommt, muß sich schon auf unser Angebot einlassen.“ Die Stühlinger Ordensleute wollen keine Zaungäste. Die kleinen Zugeständnisse an die Brüder und Schwestern auf Zeit haben jedoch existentielle Hintergünde. Anfang der Achtziger stand das Kapuzinerkloster auf der Abschußliste, ein junger Bruder holte die Idee, die in einem Gutshof in San Marceo (unweit von Assisi in dolce Umbria) schon damals Scharen von PilgerInnen anzog, in den Schwarzwald. Schnell war klar, daß man für das Wohlbefinden der weiblichen Gäste Schwestern braucht – man bat bei den Reuter Franziskanerinnen um Unterstützung. Seither ergänzen drei Schwestern das Projektteam – ein Unikum in der Ordenslandschaft. Guardian Bruder Karl, der jetzige Leiter in Stühlingen, erklärt heute das „Kloster zum Mitleben“ als Pastoral, als seelsorgerisches Tun. „Wir versuchen ja, unsere Lebensform rüberzubringen.“

Beten, Essen, Rekreieren – und diszipliniertes Arbeiten. Jeden Morgen nach dem Frühstück verteilt Bruder Karl die Aufgaben: Man hat die Wahl zwischen Großküche, Wäscherei und Garten, zwischen Knödel kneten für ein gutbürgerliches Mahl, Bettlaken mangeln und Unkraut jäten. Jetzt heißt es demütig sein – wenn Schwester Irmentraud möchte, daß die Unterhosen von Bruder Adalbert dampfgebügelt werden, und wenn Bruder Bonifatius („Bonnie“) die Erde für die Buchsbäumchen nicht fein genug sein kann. Manfred und Manfred, Offsetdrucker und Ingenieur, beide um die Fünfzig, wuchten schon seit Tagen dicke Klumpen durch ein selbstgebautes Sieb. „Ja, also ich bin eigentlich kein Hobbygärtner, des macht alles meine Frau“, sagt der eine, der andere findet's gut, daß man nicht alleine ist, ein bißchen sinnieren und miteinander schnacken kann. Mal pausieren, in der Küche eine Tasse Tee trinken, das ist ja auch drin. Niemand regt sich auf, wenn eine mal die Hühner und Schweine begutachten geht oder den großen Klostergarten durchstreift, der sich zwischen dicken Kalksandsteinmauern den Berg hochschiebt. Ein anderer Gast habe die Steine einst geschichtet, erzählt man sich beeindruckt.

Eine Prise Fleiß und ein großer Schuß Muße, so hat es Franz von Assisi vorgelebt, der „Öko-Freak“ der katholischen Kirche. Im 12. Jahrhundert zog er durch die Lande, betete die Natur an, sprach zu Tieren und Pflanzen und hinterließ seinen Anhängern eine Armutsdoktrin, die zu einem jahrhundertelangen Streit mit den Päpsten des Mittelalters führte. Um 1528 gründete schließlich eine Gruppe aufmüpfiger Franziskaner – barfüßig, bärtig, mit brauner Kapuzenkutte und dem Franziskustau – den Kapuzinerorden, um sich wieder mehr zu bescheiden.

Das Kopfhängenlassen jedoch hat Franziskus seinen Brüdern und Schwestern ausdrücklich verboten, sie sollen fröhlich sein im Herrn. Jeder Namenstag wird weinselig mit einem lauten Fest, weltlichen Gesängen und Malefiz gefeiert. Bei soviel Geselligkeit nimmt sich so mancher Gast dann auch mal frei und flüchtet in die Wälder hoch zum Schloß Hohenlupfen, mit einem grandiosen Blick auf Schaffhausen und die Schweizer Berge. Man vergißt dort oben leicht die Zeit – und das Gruppen- oder Bibelgespräch.

„Es ist schon abschreckend, wenn man dann oft so was Frommes daherredet“, findet Ralph-Peter. „... was sich so alles tut, und ... hach, und dann ist immer so ganz viel Gefühl und Gotteserfahrung und Gottesnähe – und es ist alles so überwältigend, und ich erleb des irgendwie net.“

Ralph-Peter wollte im Gruppengespräch über „Homosexualität und Kirche“ reden. Er ist selbst schwul und sagt, daß er die Erfahrung machen will, als schwuler Christ auch in die Gemeinschaft integriert zu sein. Manfred, der seine Bibel sehr gut kennt, hat sich zur Diskussion reizen lassen. Da freut sich Bruder Karl: Der Guardian wirbt ganz selbstlos mit „Stille und Gemeinschaft“ in den Fahrplanprospekten der ICs oder in der Zeitschrift Kraut & Rüben „bei den Öko-Leuten“. Noch haben die Stühlinger Schwestern und Brüder Platz für müde Seelen, nur Ostern und Weihnachten sind die 30 Klosterplätze schnell ausgebucht. Die beiden Orden finanzieren kräftig mit – „Kloster zum Mitleben“ kostet nur soviel, wie man geben kann, an Scheinen und an Energie für eine kleine Ahnung von der Ewigkeit.

Manfred, der Offsetdrucker, hat sie am „Stillen Tag“ beim Schweigen und Fasten zu spüren bekommen: „Also, mir war der doch zu lang, mir hat a Aufgabe gfehlt, ich hab als des Gefühl gehabt, des geht endlos. Ich bin zwar spaziere glaufe und habe zwischendurch glese, ein Buch angschaut und so, bin am Mittag a bissle hinglege, und bin dann wieder spaziere glaufe, drauß im Wald. Aber trotzdem, also, bis um sechs Uhr isch es mir also enorm lang vorkomme.“

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