: Aufruhr im Orchestergraben
■ Staatsorchester und Philharmonische Gesellschaft wehren sich gegen Behördenwirtschaft und künftiges Privatisierungsmodell
200mal im Jahr können wir in Bremen entweder im Opernhaus oder bei den Sinfoniekonzerten in der Glocke das Niveau des Philharmonischen Staatsorchesters bewundern. Seit es ein Jahr nach dem Beginn der Intendanz von Klaus Pierwoß im September 1995 von Generalmusikdirektor Günter Neuhold übernommen wurde, hat es einen Qualitätsschub gegeben, der inzwischen auch auf zahlreichen CDs dokumentiert ist. Ein weiterer Glücksfall sind zwei überragende erste Kapellmeister am Theater, Rainer Mühlbach und Massimo Zanetti, die jetzt noch von Gabriel Feltz Unterstützung bekommen. Keine Frage, die BremerInnen können mehr als „zusammen anfangen und gemeinsam aufhören“, wie der große Dirigent Sir Thomas Beecham einmal ein gutes Orchester charakterisierte.
Aber seit einiger Zeit kommt Unmut hoch und kochen Emotionen – genauer: Seit sich in Zusammenhang mit dem Gutachten von McKinsey die Tendenz abzeichnet, auch das Orchester in die privatrechtliche Form einer GmbH zu überführen. Der Senatsbeschluß dazu stammt vom 25. November 1997 und soll bis zum 31. März 98 in die Tat umgesetzt werden, wenn er von der Bürgerschaft abgesegnet ist. Mit diesen Daten ging das Orchester gestern in einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit, denn „das ist ein Freibrief fürs Abschieben“, sagt der Vorsitzende des Orchestervorstandes Florian Baumann. „Nichts gegen die Festivalkultur, aber wir sind Grundversorger, und wir verlangen das politische Bekenntnis dazu“. An nur drei Abenden hat das Orchester über 3.000 Unterschriften als Solidaritätsbeweis gesammelt: „Es geht uns nicht um die Rechtsform prinzipiell, sondern wir wollen zeigen, daß das Publikum uns will“, so Stephan Drabek vom Personalrat. Trotzdem: „Bei einer Umstrukturierung wird jeder einzelne von uns über seine Gewerkschaft Protest einlegen“, kündigt Florian Baumann an, „und dann: Stell dir vor, es ist GmbH und keiner geht hin“.
GmbH hin, GmbH her, dieser Akt würde nur ein ohnehin schon volles Faß zum Überlaufen bringen. Denn seit Jahren fehlen dem Staatsorchester Stellen. Stellen, die von der Kulturbehörde versprochen wurden. Das Bremer Orchester – „nachgeordnete Dienststelle“– ist ein sogenanntes A-Orchester, das in der Regel über mindestens 99 MusikerInnen verfügt (zum Vergleich: das Orchester in Hannover hat 111 Stellen). „Mit 87 sind wir zufrieden“, sagt Thomas Tscherpe vom Orchestervorstand, „aber im Augenblick hängen wir bei 79, wir können kein einziges Konzert ohne Aushilfen spielen“. Darüber hinaus treibt die Behörde mit ihnen zynisch zu nennende Spielchen.
Vier Stellen wurden wie folgt „besetzt“: Ein Musiker kam nach einem Kinderjahr wieder zurück – macht eine Stelle. Der Solopauker zog seine schon erfolgte Kündigung wieder zurück – zweite Stelle. Der Orchesterwart und Günter Neuhold – dritte und vierte Stelle. Bleiben 83 Stellen, mit denen man weder Strauss noch Mahler noch Berlioz noch Wagner noch irgendein anderes großes Orchesterwerk spielen kann. Zugleich will die Kulturbehörde Bremen mit dem Etikett einer Musikstadt schmücken. Dieser Widerspruch ist nur ein weiteres Zeugnis ihrer Orientierungslosigkeit.
Da das Orchester mit Konzerten und Opernvorstellungen gänzlich ausgelastet ist und auch keine Kosten außer Personalkosten verursacht, können Einsparungen nur über personellen Abbau erreicht werden. Das ruft auch die Philharmonische Gesellschaft (PG) auf den Plan, die das Orchester – eine in Deutschland einzigartige Konstruktion – in ehrenamtlicher Arbeit organisatorisch und finanziell trägt. Das Orchester schrieb an Kultursenatorin Bringfriede Kahrs (SPD) am 2. Februar einen Brief, der die Ablehnung der Umstrukturierung zum Inhalt hat. Doch das Schreiben blieb unbeantwortet. Dem Brief der Philharmonischen Gesellschaft vom 9. Februar folgte indes erstaunlich schnell ein Gesprächsangebot.
Doch auch der Erhalt der PG ist gefährdet: „Wir können die Kosten und die Probenumstände der Konzerte nicht mehr lange tragen“, so Barbara Grobien vom Vorstand, „dann sollen sie doch lieber ehrlich sein und alles beenden“. Nicht ganz unwichtig ist auch die Entscheidung über die Verlängerung des Vertrages mit dem GMD Günter Neuhold: Der seinerseits entworfene Vertrag schmort seit Monaten in der Behörde. Der Pressesprecherin Erika Huxhold ist der Stand nicht bekannt. Neuholds Vertrag läuft im Sommer 1999 aus. Diese Hinauszögerung ist eine weitere Methode, gewachsene Strukturen auszutrocknen, ohne die Verantwortung für deren anschließend unvermeidlichen Tod zu übernehmen.
Ute Schalz-Laurenze
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