: „Wir haben uns überhaupt nicht gelangweilt“
■ Wer hätte das gedacht? Runde und Sager ziehen positive Rot-Grün-Bilanz
Er im dunklen Zweireiher, sie mit schicken Nadelstreifen. Man sitzt auf eleganten schwarzen Ledersesseln, dazwischen ein Bistro-Tischchen mit Getränken. Eine Szene aus Boulevard Bio? Falsch. Der Erste Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) und die Zweite Bürgermeisterin Krista Sager (GAL) suchten sich das Harburger „Mikroelektronik Anwendungszentrum“(MAZ) – Symbol für innovative Wirtschaftspolitik – aus, um die ersten 100 Tage der rotgrünen Regierung zu bilanzieren.
Statt lockerem Talk gab's also nur schwerverdauliche Kost: 15 Seiten und über eine Stunde lang trugen Runde und Sager im neckischen Wechsel die Ergebnisse ihrer Arbeit vor. „Ich habe mich in diesen 100 Tagen bestimmt nicht gelangweilt“, widersprach Sager der öffentlichen Meinung, rotgrüne Regierungspolitik habe die Ausstrahlung einer Schlaftablette. Schuld an diesem Eindruck seien die Medien. Die hätten einfach nicht begriffen, wie beeindruckt sie hätten sein sollen, daß der Haushalt 1998 und die Eckdaten für 1999 „über die Bühne gebracht“wurden.
Runde bat „um Nachsicht“, daß „wir so etwas wie Garzweiler in Nordrhein-Westfalen nicht bieten können“. Dann zählte Runde Erfolge wie die Rettung der Bavaria-Brauerei oder die Kreuzfahrtschiffaufträge für Blohm + Voss auf, die eigentlich in die Regierungszeit seines Vorgängers Henning Voscherau fallen. „Karl Marx stand auch auf den Schultern von Hegel“, rechtfertigte Runde, warum er sich mit fremden Federn schmückt. Er sei außerdem schon seit Jahren im Senat. „Ich kann mich doch nicht von mir selbst abgrenzen.“
Explizit rotgrüne Entscheidungen konnten beide nicht nennen. „Ich hätte auch alleine Schönes zustandegebracht“, so Runde. Das Mühlenberger Loch unter Naturschutz zu stellen, „hätten wir in jedem Fall machen müssen“, denn das sei nun mal EU-Recht. Sager zählte hingegen die Unterschutzstellung des potentiellen Dasa-Erweiterungsgebiets zu den Erfolgen grüner Regierungsbeteiligung. Auch auf die neue Struktur der Fehlbelegungsabgabe, die Besserstellung des Wissenschaftsbereichs, die Teildezentralisierung der Ausländerbehörde und die Eröffnung der 29. Ganztagsschule ist sie stolz. Alles in allem „ein beachtlicher Erfolg“, findet die Grüne.
Mit großer Freude hat Runde zur Kenntnis genommen, daß die GAL zur Vernunft gekommen ist. „Die Ernüchterung ist immer groß, wenn man aus der Träumerei in die Verantwortung kommt.“Noch nicht alle GAL-Abgeordneten hätten sich an die neue Rolle gewöhnt und sähen ihre Aufgabe „im wesentlichen darin, kleine Anfragen zu schreiben“, räumte Sager ein.
Auf die Frage, ob ihr nicht doch eine nur durch Rotgrün ermöglichte Entscheidung einfalle, reagierte die Bürgermeisterin empfindlich. Normalerweise würden 100 Tage „als Schonfrist“gelten.
Silke Mertins
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