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Heirat ausgeschlossen

■ Weddinger Standesamt weigert sich, einen Kurden zu trauen. Der Pauschalverdacht: Ausländer ohne Aufenthaltstitel heiraten zum Schein

Auf dem Weddinger Standesamt darf nicht mehr jeder heiraten. Einem Kurden, der seine schwangere deutsche Freundin ehelichen will, verweigerte das Amt das Aufgebot. Die Begründung: der fehlende Aufenthaltstitel des abgelehnten Asylbewerbers. Denn dieser lasse auf eine Scheinehe schließen.

„Mit hoher Wahrscheinlichkeit muß ein Standesbeamter bei fehlender Aufenthaltsgenehmigung eines Ausländers davon ausgehen“, heißt es in dem Formschreiben der Behörde, das der taz vorliegt, „daß die beabsichtigte Eheschließung einzig und allein dem Zweck dient, eine Aufenthaltsgenehmigung für den Bereich der Bundesrepublik zu erlangen.“ Standesbeamte, so das Schreiben weiter, hätten nach Artikel 6 des Grundgesetzes die Ehe zu schützen. „Insbesondere haben sie zu verhindern, daß eine Ehe nur zum Schein geschlossen wird.“

Rechtsanwalt Peter Meyer, der den Kurden vertritt, teilt diese Einschätzung nicht. „Es steht in keinem Gesetz, daß man zum Heiraten eine Aufenthaltserlaubnis braucht“, sagt Meyer. Sein Mandat habe alle notwenigen Papiere vorgelegt. Wenn im Einzelfall der Verdacht einer Scheinehe bestehe, müsse dies überprüft werden. Ein Pauschalverdacht aber sei „unhaltbar“.

Meyer hält auch den Verweis auf das Grundgesetz für falsch. „Grundrechte wie der Schutz der Ehe sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat“, sagt der Rechtsanwalt. „Darauf kann sich das Paar beziehen, aber der Standesbeamte nicht.“

„Das ist eine Umkehr der bisherigen Praxis“, urteilt auch die Ausländerbeauftragte des Senats, Barbara John. „Bisher griff das Standesamt ein, wenn es deutliche Hinweise auf eine Zweckehe gab. Aber man kann das doch nicht allein aus einem fehlenden Aufenthaltstitel schließen.“ Die Schwangerschaft der Frau weise eher auf eine Neigungsehe des Paares hin.

Jeder Standesbeamte sei autonom in seiner Entscheidung, beteuert dagegen der Leiter der Weddinger Behörde, Peter Matthes. Der Beamte, der die Entscheidung im Falle des Kurden getroffen hat, kann sich damit der Rückendeckung seines Chefs sicher sein. „Wir gehen davon aus, daß 99 Prozent von denen nur heiraten, um ein Aufenthaltsrecht zu bekommen“, sagt Matthes. „Das muß ich verhindern, sonst arbeite ich doch der Ausländerbehörde entgegen.“ Mit dieser habe er die Linie seines Amtes „ein bißchen abgesprochen“. Der Fall des jungen Kurden sei kein Einzelfall. Das Paar kann nun gegen die Ablehnung beim Amtsgericht in Schöneberg vorgehen.

Anders als dem Weddinger Standesamt reicht den Kreuzberger Kollegen ein fehlender Aufenthaltstitel nicht, um den Verdacht einer Scheinehe zu erheben. „Der muß schon härter sein“, findet Bernd Nitsche, der stellvertretende Kreuzberger Amtsleiter. „Die Unschuldsvermutung gilt schließlich auch hier.“ Sabine am Orde

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