: Größter Puffer für Atommüll künftig an der Ostsee
■ In Greifswald wollen die Energiewerke Nord bald westdeutschen Atommüll verarbeiten und lagern. Bisher galt der Westmüll in Greifswald als politisch tabu
Berlin (taz) – Tausende Tonnen westdeutschen Atommülls sollen künftig an der Ostseeküste verarbeitet und gelagert werden. Die Betreibergesellschaft Energiewerke Nord (EWN) hat beantragt, im neuen Zwischenlager Lubmin bei Greifswald bis zu 6.700 Tonnen schwach- und mittelradioaktiven Atommüll gleichzeitig aufbewahren zu dürfen. Der Strahlenmüll soll dort „konditioniert“, das heißt zur Endlagerung verpackt werden. Zwei Jahre könnte der Atommüll maximal in Lubmin bleiben. Die Firma argumentiert, sie müsse den Atommüll vor und nach der Verpackung jeweils bis zu 12 Monaten lagern können. Diesen „Puffer“ brauche man für eine reibungslose Arbeit.
Umweltverbände wie die Grüne Liga und Bürgerinitiativen in Mecklenburg- Vorpommern haben energischen Widerstand gegen die Pläne angekündigt. Rosmarie Poldrack von der Bürgerinitiative Kernenergie in Greifswald will gegen eine Genehmigung gerichtlich vorgehen. „Bisher wurde immer behauptet, alle neuen Anlagen in Lubmin werden nur für die stillgelegten ostdeutschen AKW gebaut“, sagte sie gestern. „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das sogenannte Pufferlager per Nachgenehmigung zum gesamtdeutschen Zwischenlager Nord erweitert wird.“
Der SPD-Umweltexperte Henning Klostermann sieht in dem Antrag den Versuch, die Beschränkung auf Ostmüll für Lubmin „durch die Hintertür auszuhebeln“. Die Nutzung Lubmins nur für Müll aus den AKWs in Greifswald und Rheinberg hat die schwarz-rote Koalition in Schwerin im Koalitionsvertrag und in Landtagsbeschlüssen festgeschrieben.
Die EWN setzt in Greifswald auf Salamitaktik. Schon in den letzten Jahren hat sie auf dem Gelände der alten Atomreaktoren eine Verpackungsanlage für flüssigen Atommüll betrieben. Dort wurde bisher schon schwachradioaktiver Müll aus dem Westen „konditioniert“ – etwa 300 Kubikmeter, so gestern der Sprecher der EWN, Manfred Meurer. Er versteht die Aufregung nicht. Schließlich habe man für 450 Millionen Mark das Zwischenlager mit seinen acht Hallen gebaut und damit auch die modernste Anlage zur Konditionierung, „die es derzeit gibt“, so Meurer. Da müsse man sehen, daß die neue Anlage auch genutzt werde.
Eigentliches Ziel der EWN ist der Wachstumsmarkt Reaktorverschrottung. Mit der Genehmigung in der Tasche könnte sich die Firma mit Aussicht auf Erfolg um Aufträge zum Abbau von Atommeilern in West und Ost bemühen. Ein entsprechender Antrag für das kürzlich stillgelegte AKW Mülheim-Kärlich ist bereits abgegeben. Die EWN hätte den Konkurrenzvorteil, größere Mengen Atommüll in Lubmin lagern zu können.
Bundesumweltministerin Angela Merkel hat nichts gegen die Konditionierung des Atommülls in Lubmin. Die CDU-Landeschefin hatte allerdings zuvor immer versichert, nur Atommüll aus dem Osten dürfe an dem Standort zwischengelagert werden. R. Metzger, H.-J. Tenhagen
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