: Es steht im Buch! Ultimativ!
■ Die Reiseführer-Reihe Lonely Planet ist die Bibel der Rucksacktouristen. Sie hat das Informationsmonopol für Hunderttausende Traveller, die dem Mainstream entfliehen wollen
Seit in Goa der Massentourismus und mit ihm die Drogenkontrollen eingesetzt haben, sind die Freakigsten der Freaks in den Bundesstaat Karnataka südlich von Goa gezogen. Am „Om Beach“ – der Name ist Programm –, eine gute halbe Stunde Fußmarsch, haben sie sich unter Palmen häuslich eingerichtet, bewachen ihre Ghettoblaster, rauchen Joints, schleppen sich zum Frühstück in die „German Bakery“ und sind voller Stolz, daß ihnen ein Stück Indien mit Zugang zum Meer gehört, das noch unentdeckt ist.
Seit ein paar Wochen ist alles anders. Kein Morgen vergeht, an dem nicht ein kleiner Pulk weißer Menschen seine Rucksäcke durch den Ort schleppt. Zielstrebig marschieren sie auf dieses oder jenes Hotel zu oder biegen vor dem kleinen Fluß links ab, um zum Om Beach zu gelangen. Sie wissen, wie lange die Wanderung dauern wird und daß sie sich verlaufen haben, wenn sie bei dem kleinen Tempel auf den Klippen enden. Noch bevor sie im Bus von Karwar nach Ankola um einen Platz gekämpft haben, hatten sie die sieben Rupien schon herausgekramt, um nicht um ihr wohlbehütetes Geld betrogen zu werden.
Karnataka ist beschrieben in the bible, einem Buch aus der Serie „Lonely Planet“. Eine Reiseführer-Reihe, die für die Weltanschauung und die Lebensplanung von Rucksacktouristen steht. Sie ist für den Traveller ebenso obligatorisch wie für den anständigen Deutschen die Tagesschau. Mit dem treffenden Untertitel „Travel Survival Kit“ füttern sie eine immer größer werdende Klientel von Menschen, die von sich behaupten, „Individualreisende“ zu sein. Sie geben eine politisch korrekte Einführung in Geschichte, Religion und Kultur, Tips für den Besucher von der Visabeschaffung bis zur Checkliste für den Rucksack und einer in ihrer Detailtreue beeindruckenden Masse an Informationen über Städte, Strände, Hotels, Pensionen, Verkehrsverbindungen und Ausflugstips. Wer den Lonely Planet liest, weiß, wann die Bank Mittag macht, daß „Mr. Singh“ am Bahnhof von Bombay „ein Ausbund an unschätzbaren Informationen“ ist, welches Restaurant das kühlste Bier verkauft und wie der Meditationswillige am schnellsten zu Sai Baba kommt. Wer einen Planeten besitzt, muß keine Stadtpläne mehr kaufen, keine Zugpläne mehr lesen und kann eigentlich auch auf die Beipackzettel in der Reiseapotheke verzichten. Die Leser würdigen die Recherchen der Verfasser, die in der Regel alle zwei Jahre einen aktuellen Reiseführer für jede Region vorlegen: In Südostasien, Australien und Osteuropa haben die Werke des Verlags Lonely Planet die Konkurrenz längst in die Bedeutungslosigkeit verbannt. Lediglich in Lateinamerika kämpft man seit Jahren gegen die Übermacht der „Handbook“-Reihe. Der Klassiker „Southeast Asia on a shoestring“ ist inzwischen über eine halbe Million mal über den Ladentisch gegangen. In Indonesien, Vietnam und selbst in Laos werben Pensionen mit dem Slogan „Recommended by Lonely Planet“. „Miss Loi“, Besitzerin eines Guesthouses in Saigon, hat stolz die Visitenkarte des Lonely-Planet-Autors an ihre Wand geheftet. Ein indischer Kellner in Madurai schlägt einem gerne die richtige Seite auf und zeigt auf die drei Zeilen über sein Restaurant. Wertvollstes Prädikat: „Popular with Travellers“. Manche Händler greifen einen mitten auf der Straße auf und zerren einen in ihren Shop – mit der umwerfenden Begründung: Its in the book!
Angefangen hat alles wie im Märchenbuch der Weltenbummler: Am Küchentisch, so geht die Legende, zimmerten die Engländer Maureen und Tony Wheeler 1973, ermutigt von den neugierigen Fragen ihrer Freunde, ihr erstes Buch zusammen: „Across Asia on the Cheap“ hieß das Ergebnis, das die wesentlichsten Highlights und Katastrophen einer Überlandtour von England nach Australien zusammenfaßte.
Heute sind die Wheelers, die schon längst ihren Kindern die Rucksäcke aufgeschnallt haben, nur zwei von zweihundert Autoren, die den 130 Angestellten in der Zentrale im australischen Melbourne zuarbeiten und inzwischen schon ebenso viele Reiseführer verfaßt haben: von „Alaska“ bis „Zimbabwe“. Zu den Reiseführern haben sich Sprachführer gesellt, mit deren Hilfe man Urdu, Mandarin oder auch ein paar Begriffe der thailändischen Bergstämme lernen kann. Und Landkarten, die einem den Weg durch den Himalaya oder über das Kaspische Meer weisen.
Schade nur, daß erst so wenige mit einem Laptop reisen. Denn die wahre Stärke des Planeten liegt längst im World Wide Web. Unter www.lonelyplanet.com erfährt man das Neueste von „abroad“. „Auf den Andaman-Inseln sind Kreditkarten praktisch nutzlos“, schreibt eine mitteilungsbedürftige Britin, ein anderer warnt, daß das „Taj Mahal jetzt montags geschlossen ist“. Ein Holländer hat es offensichtlich geschafft, an der Grenze von Thailand zu Laos einen Computer aufzutreiben: „Visa gibt es jetzt problemlos in Khon Kaen.“ Wer Glück hat, wird für seine Unterstützung im nächsten Lonely Planet mit einer namentlichen Nennung belohnt – und damit in den Kreis der „echten“ Traveller aufgenommen.
In der Melbourner Redaktion ist man stolz auf den durchschlagenden Erfolg und muß doch schon anfangen, sich mit den Nebenwirkungen herumzuschlagen. Zwar glaubt man hier in grenzenlosem Optimismus immer noch an das Gute in den Lesern, daran, daß „Traveller in den Ländern, in die sie reisen, einen positiven Beitrag leisten“. Dennoch beeilt man sich zu versichern, daß der Verlag das Seinige leiste – sei es, um eventuell hinterlassene Schäden zu beheben oder auch um das Geld dieser Welt ein bißchen gerechter zu verteilen, als Touristen das üblicherweise tun: Ein Teil der Einnahmen fließt zurück in die Länder, in denen sich die Klientel herumtreibt: in Entwicklungshilfeprojekte in Indien, Afrika und Zentralamerika, aber auch in die Kassen von amnesty international und Greenpeace.
Bleibt die Absurdität, das Informationsmonopol für Hunderttausende Menschen innezuhaben, die alle dem Mainstream-Tourismus entfliehen wollen. Schon sind die ersten Anti-Lonely-Planet-Reisenden unterwegs, die immer in gerade die Regionen fahren, die entweder ausgelassen, oder besser noch, verrissen wurden. Jeannette Goddar
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