: Kalt wie Champagner
■ Batterielose Spielzeugäffchen am Weihnachtsmorgen: David Robertson dirigiert Rossinis aufgeklärte Märchenoper La Cenerentola in der Staatsoper
Die Geschichte vom armen, aber selbstbewußten Aschenputtel ist einer der ältesten und weitverbreitesten Märchenstoffe der Welt – Forscher haben mehr als 100 Versionen ausgemacht. Eine entstand 1817 in nur 24 Tagen: Gioachino Rossinis Oper La Cenerentola mit einem Libretto von Jacopo Ferretti. Die Hamburger Staatsoper zeigt die Märchenoper ab Sonntag in der Regie von Bruno Berger-Gorski. Die musikalische Leitung obliegt David Robertson, der in London Horn und Kompositionslehre studierte, bevor er sich dem Dirigieren widmete. Jerusalems Symphony Orchestra, die Mailänder Scala, New Yorker Met und das Pariser Ensemble InterContemporain sind nur einige Stationen des Kaliforniers, für den Rossini ein moderner Alleskönner ist.
taz hamburg:Sie dirigieren Rossinis Cenerentola. Ist das für Sie als Leiter des Avantgarde-Ensembles InterContemporain nicht ungewöhnlich?
David Robertson: Seit ich InterContemporain leite, heißt es bei einigen Leuten: Aha, dritte Schublade links, zweite Reihe von oben: Neue Musik-Spezi. Als mich Pierre Boulez vor zwei Jahren zum InterContemporain-GMD ernannte, war ich gerade mit einem anderen Orchester auf einer Frankreich-Tournee mit Marilyn Horne, wir brachten nur Rossini-Arien. Die Mitglieder von InterContemporain befürchteten also postwendend, sie bekämen jetzt einen reinen Rossini-Experten. Kaum hat man Erfolg mit etwas, nageln die Leute einen drauf fest.
Rossini gilt in Deutschland bei vielen immer noch als besserer Operettenkomponist.
Rossini konnte alles. Und erreichte es auf kürzestem Weg. Ähnlich wie heute etwa Steve Reich arbeitet er gern mit kleinen Bauteilen, die er kombiniert, er ändert eine Kleinigkeit – und alles klingt überraschend anders.
Heinrich Heine lobte seine „revolutionärrischen Koloraturen“.
Rossini ist von der großen Desillusionierung nach der Französischen Revolution auf seine Weise geprägt. Er ist anti-romantisch in dem Sinn, daß man ihn hinter seiner Musik vermißt. Das prometheische Subjekt, die geniale Künstlerfigur des 19. Jahrhunderts gibt es bei Rossini nicht. Auch das macht ihn modern.
War er ein kalter Komponist?
In dem Sinn vielleicht, in dem Champagner kalt sein sollte. Er hat sehr früh seine Mutter verloren. Er wußte, was Leid und große Gefühle bedeuten.
Warum sollte sich jemand heute noch eine Oper wie Cenerentolaanhören?
In der Szene, als Cenerentola und der Prinz sich zum ersten Mal begegnen und einfach hin und weg sind voneinander, fragt der Prinz sie, wo denn die beiden Stiefschwestern seien, und mit jeder Wiederholung ihrer Antwort – „Gleich werden Sie sie sehen“– erstirbt das Orchester mehr und mehr, wie eines von diesen kleinen Spielzeugäffchen am Weihnachtsmorgen, wenn die Batterie zu Ende geht. Wir mußten alle lachen eben auf der Probe. Das hat einen berauschenden Charme, Joie de vivre und Weisheit – es ist einfach hervorragende Unterhaltung.
Fragen: Stefan Siegert
Premiere: Sonntag, 1. März, 18 Uhr, Hamburgische Staatsoper
David Robertson dirigiert ebenfalls am 8. März um 11 und am 9. März um 20 Uhr das 7. Philharmonische Konzert in der Musikhalle.
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