piwik no script img

Stolze Rosen voller Kaffee

■ Rutschgefahr auf dem Mainstream: Dr. Blohm und Herr Voss tummeln sich auf der Pressekonferenz zum Schlager-Grand Prix im Bremer Park-Hotel

Selten hat ein Schlager-Grand Prix so viel Medieninteresse ausgelöst wie in diesem Jahr. Keine Frage, daß sich auch Dr. Blohm und Herr Voss als alte Kenner der Materie zum Pressetermin in der Stadthalle einfanden, um rauszukriegen, ob deutschsprachige Musik wirklich tot ist oder einfach nur komisch riecht. Als Gaststars geben sich die Ehre: Anna R und Peter Plate von „Rosenstolz“.

Blohm: Meine Güte, mehr Pressevolk als zu Elvis Landgang in Bremerhaven. Damals war für mich endlich Schluß mit dieser Verdrängungsmusik, und jetzt muß ich mit ansehen, wie Ralph Siegel in Tränen ausbricht, weil ihm ein 54jähriger Musik-Therapeut mit schütterem Haar die Show stiehlt. Der Situation mangelt es hier wirklich nicht an Komik.

Voss: Sehen Sie sich die Staffage der Retorten-Produkte an: Ballhouse, Köpenick, Sharon...

Blohm: Maßarbeit von Herrn Siegel. Besonders „Köpenick“mit ihren Hauptmannsjacken und den Limahl-Vokuhilas. Wenn man sich jetzt überlegt, daß jedes GEMA-Mitglied den Bogen für die Komponistenausschreibung erhält und solche Katastrophen serviert bekommt, kann auch der TED nichts mehr retten.

Es gab ja ein sehr selbstkritisches Schreiben vom NDR zu diesem Grand Prix. Darin hieß es, daß ein Umdenken stattfinden muß, wenn man diesen Wettbewerb retten will.

Voss: Die Dekoration mit den Lamellen sieht aus wie in „Flashlight“, dieser Teenie-Sendung aus den 80ern. Und Kaffee gibt's hier auch nicht.

Blohm: Da vorne stehen „Rosenstolz“, die erste richtige Band, die in all diesen Jahren zur Vorausscheidung zugelassen wurde. Die entsprechen auch am ehesten dem Chanson-Charakter, den diese Schlagerhirne nicht verstehen.

Voss: Das sind die mit „Die Schlampen sind müde“, oder?

Blohm: Anna R ist Deutschlands letzte Diva. „Rosenstolz“sind aber großer Pop und haben sieben Jahre Tour-Erfahrung. Ich frage mich, warum die sich für so was hergeben. Vielleicht sollten wir sie ein wenig interviewen, statt uns hier von Fotografen tottreten zu lassen. Es scheint sich sowieso niemand für einen anderen als diesen Guildo Horn zu interessieren.

Voss: Ich hole mal Kaffee vom kleinen Stand vor der Halle.

Blohm: Bringen Sie gleich ein paar mehr mit. Ich werde mich in der Zwischenzeit bekannt machen.

(Später vor dem Park-Hotel)

Voss: Das nehme ich Ihnen übel, Blohm. Ich stehe die ganze Zeit um Kaffee an, während Sie herumturteln, und jetzt haben wir nicht mal ein Interview.

Blohm: Wer konnte wissen, daß die Leute von „Panorama“so lange brauchen, um zwei Leute zu filmen, die einen Weg entlanggehen. Unser Termin ist eben verschoben.

Voss: Das dauert ja ewig. Da hätten wir auch in der Stadthalle bleiben können. Müssen Sie nicht noch Ihre Frau vom Arzt abholen?

Blohm: Ich habe von Anna und Peter zumindest ein paar interne Infos recherchieren können. Hören Sie, vieleicht holen Sie noch mehr Kaffee. Die beiden werden es Ihnen sicher honorieren, wenn die Dreharbeiten vorbei sind. Die rauchen Kette und trinken Kaffee wie Lastkraftfahrer.

Voss: Ich gehe ja schon, aber spielen Sie sich bitte nicht so auf.

Anna R: Entschuldigung, haben Sie noch eine Zigarette?

Blohm: Nein, aber warten Sie ...

Anna R: Vielleicht habe ich selbst noch welche.

Blohm: Mein Kollege kann Ihnen ganz sicher noch welche mitbringen.

Anna R: Wußten Sie, daß man Babies nach der Geburt Klassik vorspielen sollte, wenn man vorher nur Popmusik gehört hat?

Blohm: Voss! Warten Sie! Voss!

Peter Plate: Wo rennen die beiden alten Knaben denn jetzt hin? Ich dachte, die wollten ein Interview machen. Schade, im Gegensatz zu den anderen Interviewern konnten sie sich zumindest an Nina Hagen erinnern. Hast du einen Zigaretten-Automaten gesehen?

Anna R: An der Straße. Wir haben noch zwei „Phoner“bis zur nächsten Probe. Gehen wir!

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen