: Attraktion im Einheitsbrei der Architektur
■ Wie der Architekt Harald Deilmann und sein Team in trister Umgebung ein Musicaltheater bauen
Es ist eine dieser Bremer Hinterhofstraßen. Bürobauten aus den 50er und 60er Jahren, Verblendungen aus Waschbeton, niedrige Etagenhöhen und reihenweise Garageneinfahrten zu ebener Erde kennzeichnen den Richtweg in der Bahnhofsvorstadt. Bislang hebt sich nur der Seitenflügel von Gildemeisters Haus des Reichs aus dem Architektur-Einheitsbrei heraus. Doch das wird sich bald ändern. Denn in den nächsten Monaten wird mit dem neuen Musical-Theater ein markantes Stück Architektur am Richtweg sichtbar werden.
In diesem Beinahe-Neubau erinnert kaum noch etwas an den früheren „Showpark“, das letzte Pleiteprojekt an diesem Ort. Der Münsteraner Architekt Harald Deilmann läßt nur den Mantelbau an der Seite und im Hauptgebäude etwas Gerippe stehen. Den hinteren Bereich hat er vollkommen abreißen lassen. Zur Zeit arbeiten rund zwei Dutzend Bauleute am Fundament für den Saal und Bühnenturm. Es ist Betonguß. Eigentlich unmöglich im Winter. Doch durch das milde Wetter geht es schnell voran.
Noch ist viel Phantasie nötig, um sich das neue Gebäude vorzustellen. Denn für rund 45 Millionen Mark entsteht hier immerhin ein Amüsierbetrieb von der Größe des Theaters am Goetheplatz. Jetzt sind nur ein Schild mit dem annoncierten Musical „Jekyll & Hyde“und die rot verblendete Fassade zu sehen. Doch in einem Jahr wird sich ein vollkommen veränderter Anblick präsentieren.
Schon für die Fassade – das Gesicht des Gebäudes – haben der Architekt Deilmann und seine MitarbeiterInnen eine attraktive Lösung gefunden. Die Wand wird entfernt und durch eine große Glasfläche ersetzt. Sie erstreckt sich über die ganze Höhe des Gebäudes. An der Traufe wird sie durch ein gewölbtes, auf schrägen Säulen gestütztes Metallelement abgeschlossen. Die mit Eleganz gebaute Botschaft: Hier, in reichlich trister Umgebung, öffnet sich etwas Besonderes.
In der oberen Ebene hinter der Glasfassade ist die Einrichtung von Gastronomie vorgesehen. Darunter öffnen sich die Eingänge für ein großzügiges Treppenhaus, das diesen Namen auch verdient. Die Treppen sind nicht in direkter Laufrichtung, sondern schräg dazu angeordnet. Wie Kaskaden gruppieren sich die Abschnitte der Treppe hintereinander, um höher und höher hinauf zu reichen. Schon die Eingangssituation ist eine Inszenierung. Barocke Vorbilder standen dafür Pate. Sie werden hier aber durch Verwendung moderner Materialien in die Gegenwart übersetzt.
Großzügigkeit ist nötig. Mit immerhin 1.500 BesucherInnen faßt das sich anschließende Theater 500 mehr Menschen als das Haus am Goetheplatz. Sie werden gut sehen können. Denn das Parkett senkt sich deutlich zur Bühne hin ab. Zwei Ränge darüber vervollständigen den Zuschauerraum. Aus den Wänden ragen schwungvoll gewölbte Elemente. Ganz ähnlich wie im Theater am Goetheplatz wird damit der Schall beeinflußt.
Ob die TheaterbesucherInnen am Richtweg auf rotem Samt, Leder oder Stoff sitzen, wird erst in den nächsten Wochen entschieden. Auch der genaue Inhalt des Geschehens auf der Bühne ist noch nicht bekannt. Fest steht nur, daß die deutsche Fassung des Broadway-Musisals „Jekyll & Hyde“ab Februar 1999 acht mal in der Woche für ein volles oder wenigstens gut besuchtes Haus sorgen soll.
Ob dieses Konzept aufgeht, steht auf einem anderen Blatt. Doch egal wie lang „Jekyll & Hyde“am Richtweg gespielt wird: Bremen ist in wenigen Monaten um ein attraktives Theatergebäude reicher. ck
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