Wand und Boden: Alles für Mr. Adam and his madam
■ Kunst in Berlin jetzt: Alberto Simon, Julia Scher, Fernando Bryce, Daniela Brahm
Wenn Sex in der Geschenkverpackung mit einer riesigen rosaroten Schleife daherkommt, dann sieht die Schachtel, der Geschenkkarton für das erotische Konfekt, wie ein brasilianisches Motel aus.
Anders als sein nordamerikanisches Pendant, in dem Geschäftsreisende und Touristen übernachten, ist das brasilianische Motel ein Stundenhotel. Allerdings nicht so sehr für Paare, die auf kommerzieller Basis zusammengefunden haben, als vielmehr für solche, die, verheiratet oder nicht, eine Beziehung verbindet, die es erlaubt, den Rückzug ins Motel als „Fest zu zweit“ zu zelebrieren.
Alberto Simon, 1961 in São Paulo geborener Künstler, der heute in Berlin lebt, hat das brasilianische Motel fotografiert. Seine mittelgroßen Farbformate im Brasilianischen Kulturinstitut dokumentieren einige Varianten dieser brasilianischen Institution, wie sie sich etwa entlang der Autobahn SP-270 in São Paulo finden. Es sind nüchtern und sachlich angelegte Fotografien, in denen die unterschiedlichen und durchaus an Las Vegas erinnernden Einrichtungskonzepte der künstlichen Paradiese für Mr. Adam and his madam anschaulich werden. Besonders beliebt scheint die ägyptische Schachtel zu sein. Obwohl das Liebesnest nur wenig mehr als die Größe einer Autogarage hat, auf der es ja auch aufsitzt, verzaubern es kleine Swimmingpools, Innenhöfe und sogar Wasserfälle in eine eigene kleine Welt romantischen Luxus. Die kühle, unaufdringliche Herangehensweise von Alberto Simon erlaubt es ihm, die funktionale architektonische Infrastruktur einer solchen Anlage ebenso in den Komplex der Bilder einzuordnen wie die obszöne Pracht der Liebesmöbel. In seiner Haltung zeigt sich dann die gleiche Lässigkeit gegenüber dem Phänomen des brasilianischen Motels, die auch der Grund für die Entstehung des Phänomens gewesen sein muß.
Bis 20.3., werktags außer Mi. 10–17 Uhr, Knesebeckstr. 20–21
„I'm here to make you feel good“ könnte ein Satz sein, der im „Wonderland“ des brasilianischen Motels fällt. Es ist aber Julia Scher, die das sagt, und ihr „Wonderland“ gehört ins Reich des „Komputer King“. Derzeit regiert er in der Galerie Schipper und Krome. Seine Hofhaltung ist bescheiden. Sie besteht aus einem schwarzen Hartschalenkoffer, in dem ein Mac-Notebook liegt und einem 4-Kanal- Verstärker, über den vier Richtlautsprecher angesteuert und mit randomisierten Tonschleifen, Stimmen, artifiziellen Geräuschen, Soundtracks, Muzak und ähnlichen Samplings versorgt werden.
Mit Hilfe der verschiedenen Soundkomponenten wird der Raum in semantische Zonen eingeteilt, und so kann man sich mal mehr im Reich des Komputer Königs aufhalten oder mehr im Wunderland der „super wonder ware“. „Elizabeth is your guard today in wonderland“, sagt dann die freundliche Frauenstimme, und man weiß nicht so recht, ob dieser Guard einen nur kontrolliert oder ob er auch eine Art Schutzengel ist, der einen davor bewahrt, zuviel Super-Wunderware erwerben zu wollen.
Kontrolle ist das zentrale Thema der amerikanischen Künstlerin, die früher mit Videoüberwachungssystemen arbeitete und die sich jetzt mit wirklich exzellenten Arbeiten im Internet engagiert, wie etwa der „Konsent Klinik“ (www.ada net.com/). Der Übergang zum reinen Soundsystem rührt aus ihrer Überlegung, daß man sich dem Ton, zumal dem sogenannten malerischen, weniger entziehen kann als dem Bild. Es gibt kein Entkommen, die Ohren lassen sich nicht abstellen oder fokussieren, und kognitiv ist der Sound nur bruchstückhaft in Inhalte zu überführen.
Daher geht man der Frage, welche Funktion der Guard nun eigentlich hat, tatsächlich nicht weiter nach. Denn schon vermischen und verwirren sich die Soundzonen wieder, und man läßt sich mit den Geräuschen treiben. Besonders da die Frauenstimme außerordentlich verführerisch und die Muzak gleichermaßen elegant aus den Lautsprechern perlt.
Bis 21.3., Di.–Fr. 12–18, Sa. 13–17 Uhr, Auguststr. 91
Panoptikum nennt man auf visueller Ebene den Versuch, den Körper völlig zu umstellen – eben mit Bildern statt mit Tönen. Es ist diese Idee des Panoptikums, die Fernando Bryces Papierarbeiten motiviert, die er zu großformatigen Bildfeldern zusammensetzt. Nicht folgenlos hat er also bei Christian Boltanski studiert. Vielleicht kam die Inspiration aber auch von dem unbekannten Schöpfer des mobilen Freilichtmuseums, auf das Bryce einmal in Lima stieß, wo er 1965 geboren wurde und heute – neben Berlin – lebt. „Museo Hawai“ taucht jedenfalls stetig auf in seinen Bildwänden mit Motiven aus der Werbewelt, der katholischen und der politischen Ikonographie, die auffälligerweise vor allem die 30er Jahre rekapituliert.
Im hinteren Bereich der Galerie Barbara Thumm zeigt Daniela Brahm eine weitere Variante der Appropriation. Brahm, die bei Valie Export studierte, entwickelt ihre Bilder am Computer und überträgt sie dann als großformatige Zeichnungen auf dünne weiße Aluplatten. Für ihre aktuelle Arbeit hat sie sich die Gesichter von Leni Riefenstahl, Hildegard Knef und einem Calvin-Klein-Model gestohlen und sie mit dazu erfundenen Körpern in sogenannte Wiederkehrkapseln gesteckt. Es ist eine durchaus spannende Mischung aus sparsamer technischer Zeichnung, dichterer Comic-Illustration und einem freien, farbigen Strich, der die Körper konturiert, die ihre Parallelwelt aus Weltraumschick und Werbedisplays konstituieren.
Bis 21.3., Di.–Fr. 14–19, Sa. 13–17 Uhr, Auguststr. 22 Brigitte Werneburg
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