■ Italien: Erich Priebke wurde zu lebenslanger Haft verurteilt: Sieg der Gerechtigkeit?
Nun also haben Erich Priebke und Karl Hass die Strafe bekommen, die kaltblütigen Mördern zusteht – „lebenslänglich“. Auch wenn der Rechtsweg noch immer nicht ganz ausgeschöpft ist, hat das Urteil jene Signalwirkung, die sich nicht nur die Angehörigen der Opfer seit langem gewünscht haben: Die Justiz wird Kriegsverbrecher auch nach Jahrzehnten stellen und ohne Rücksicht auf ihr Alter bestrafen. Dennoch wirft das Urteil eine Reihe von Fragen auf. Nicht zuletzt deshalb, weil die linksliberale Öffentlichkeit sich seit Jahrzehnten um den Sinn lebenslänglicher Freiheitsstrafen, um Ziel und Zweck von Strafen und um die Frage der Resozialisierung streitet.
Geht man davon aus, daß Strafe grundsätzlich der Wiedereingliederung des Verurteilten in die Gesellschaft dienen soll, fragt sich, welchen Effekt das nun ausgesprochene Urteil bei den beiden Greisen noch haben soll. Vor allem Priebke hat bis heute keinerlei Reue, keinerlei Selbstzweifel gezeigt. Priebke weiß sehr wohl, daß ihm demonstrative Zerknirschung ein mildes Urteil beschert hätte – aber er wollte es nicht. Glaubt wirklich irgend jemand daran, ihn mit seinen 84 Jahren noch „bekehren“ zu können? Ein erster Haftsprüfungstermin ist in 15 Jahren möglich. Priebke und Hass sind dann fast hundert Jahre alt.
Wie sieht es mit der Gefahr von Wiederholungstaten aus? Würden die beiden, kämen sie in Freiheit, zur sozialen oder politischen Gefahr? Sicherlich würden sie alsbald von Rechtsradikalen als Helden der Unbeugsamkeit gefeiert werden. Aber ist unsere Demokratie wirklich noch immer – oder schon wieder – so schwach, daß zwei SS-Greise sie gefährden könnten?
Bleibt also nur der Rachegedanke, der Abschreckungseffekt und die Botschaft: Wer solche Taten begeht, der soll sein ganzes Leben fürchten müssen, zur Verantwortung gezogen zu werden. Doch auch bei diesen Aspekten gerät man wieder mit rechtsstaatlichen Prinzipien in Konflikt. Rache hat in der Rechtssprechung nichts zu suchen. Und Strafen dürfen immer nur für begangene Tat, nicht im Hinblick auf künftige andere Täter ausgesprochen werden.
Um nicht mißverstanden zu werden: Auch wir können uns kein Urteil vorstellen, das alle Seiten würdigt – die Forderung der Hinterbliebenen nach Ahndung des Verbrechens und das Ziel einer Resozialisierung auch von Mördern. „Lebenslänglich“, so sehr wir die Milde oder die Rechtsverdrehungen der Unterinstanzen kritisiert haben, löst das Problem leider auch nicht. Werner Raith
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