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Rechtsfeindliche Anstaltsleitung

■ Gericht: Knast-Chef Weiß bringt Gefangene um ihre Rechte / Über 70 Verfahren anhängig / Rechtswidrige Körperkontrollen? Von Silke Mertins

Nach den richterlichen Äußerungen zu urteilen, müßte der Leiter der JVA I in Fuhlsbüttel, Peter Weiß, längst seine Kündigung auf dem Tisch haben. In den zahlreichen Verfahren, die Insassen angestrengt haben, um ihre Rechte – zum Beispiel Vollzugslockerungen – einzuklagen, bescheinigt die für das Strafvollzugsgesetz zuständige Strafkammer 9 des Landgerichts der Anstaltsleitung ausgeprägte Rechtsfeindlichkeit.

So hielt der vorsitzende Richter Dennhard eine Zeugenaussage für glaubwürdig, nach der ein Abteilungsleiter gesagt haben soll, richterliche Beschlüsse interessierten ihn nicht. Es sei kein Wunder, so Richter Dennhard in seiner Urteilsbegründung, daß „rechtsstaatswidrige Äußerungen und Praktiken eines juristisch ausgebildeten Anstaltsleiters“ – Peter Weiß – auf die „ihm nachgeordneten Beamten abfärben“. Bei einem solchen Vorgesetzten käme es unweigerlich „zu einer Mißachtung der Gesetze und der rechtsprechenden Gewalt“.

Abschließend stellte Dennhard klar, daß es sich keineswegs um einen bedauerlichen Einzelfall handelt: Die Gefangenen würden um ihre gesetzlich verbrieften Rechte gebracht, solange der Knast von der „jetzigen, sich durch Rechtsfeindschaft auszeichnenden Anstaltsleitung geführt wird“.

Fast alle Ausgänge und Urlaube müßten von den Gefangenen eingeklagt werden, bestätigt auch der Insassenvertreter Andreas Caulier. Bei vielen Widersprüchen und Klagen habe er geholfen. Deshalb hatte die Anstaltsleitung auch seine Wiederwahl verhindern wollen und ihn verlegen lassen; auf öffentlichen Druck und Weisung des Justizsenators Hardraht hin mußte Weiß, der Caulier wörtlich „Gefangenen-Aufwiegelung“ vorwirft, ihn in die Anstalt I zurückverlegen.

70 bis 80 Verfahren sind derzeit allein in Weiß' Anstalt anhängig. Wer seine Rechte auf Ausgang gerichtlich einklage, würde in den offenen Vollzug verlegt, kritisiert Caulier. Weiß würde sich nach eigenen Angaben „die Statistik“ – möglichst wenig Urlaube – nicht kaputtmachen lassen. Viele wollten aber nicht in den offenen Vollzug nach Neuengamme, weil sie sich dort schon allein wegen der Schlafsäle dem Drogenkonsum nicht entziehen könnten.

„Wie auf dem Hauptbahnhof“ geht es laut Caulier aber auch in der Anstalt I zu. Obwohl der Knast-Chef die Rechte der Gefangenen wie der BesucherInnen immer wieder mit dem Argument beschneidet, Drogeneinschmuggel solle verhindert werden, ist der Erfolg gleich Null. Die Drogen kommen ganz offensichtlich nicht durch den Besuchereingang in die Anstalt.

Den Knackis der Anstalt I werden darüber hinaus weder Kühlboxen noch Ventilatoren genehmigt – beides im benachbarten Santa Fu kein Problem. „Deshalb benutzen viele Gefangene bei diesen Temperaturen ihr Waschbecken zum Kühlen; das Wasser läuft den ganzen Tag“, so Caulier.

Auf Anweisung des Justizsenators sind Körperkontrollen bis hin zum Ausziehen – in der Vergangenheit wurden sogar die Monatsbinden von Besucherinnen durchsucht – nicht mehr erlaubt. Im Santa Fu werden auch nur noch Metallsonden wie am Flughafen eingesetzt. In der Anstalt I aber wird weiterhin abgetastet und unter die Röcke und Kopftücher geguckt. Auch die Verfasserin dieses Artikels mußte gestern ihre Schuhe ablegen; ob das als „ausziehen“ gilt, ist derzeit in der Justizbehörde strittig.

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