Strahlende U-Boote

■ Russischer Umweltschützer wird erneut wegen Spionage und Verrats angeklagt

Berlin (taz) – Alexander Nikitin, russischer Umweltschützer und Ex-U-Boot-Kommandant, ist weiterhin in Gefahr. Die Ermittler in Sankt Petersburg haben ihm jetzt die sechste Anklageschrift vorgelegt. Am 6. Februar 1996 hatte der russische Inlandsgeheimdienst FSB Nikitin verhaftet. Er saß sechs Monate in Einzelhaft, ehe er vorübergehend wieder entlassen wurde. Die Beamten des Nachrichtendienstes werfen Nikitin Spionage, Verrat von Staatsgeheimnissen und Fälschung vor. Grund ist ein Bericht der norwegischen Umweltorganisation „Bellona“, in dem Nikitin über die Sicherheit von russischen Unterwasserreaktoren und Unfälle von Atom-U-Booten schrieb. Nikitin betont allerdings, er habe nur aus frei zugänglichen Quellen zitiert. Eine Nato-Studie belegt dies: Was Experten der russischen Marine als „top-secret“ einstuften, ist längst bekannt.

In einem 300seitigen Band beschreiben die westlichen Militärs die kastrophalen Zustände der russischen Atom-U-Boot-Flotte. An Bord des Service-Schiffes „Lepse“ beispielsweise, das im Eismeerhafen von Murmansk liegt, lagern 645 abgebrannte Brennstäbe aus U-Boot-Reaktoren, 500 von ihnen teilweise völlig zerstört. Sie sind inzwischen in Beton gegossen worden. Jetzt gilt das gesamte Schiff als radioaktiver Müll. Wie gefährlich die Strahlenbelastung tatsächlich ist, können die Nato-Wissenschaftler allerdings nicht abschätzen, da die Meßzeit zu kurz war.

Es ist aber fraglich, ob das Nato- Papier Nikitin retten kann. Denn die Anklage basiert auf Geheimhaltungsvorschriften, die erst neun Monate nach Nikitins Verhaftung in Kraft traten. Selbst der inzwischen zurückgetretene FSB- Chefermittler erklärte, er kenne die Vorschriften nicht. Oliver Zelt