: „Wir müssen die Denkweise ändern“
■ Der chinesische Parteisekretär der Provinz Liaoning zur Reform der Staatsunternehmen und zu dem Problem der steigenden Arbeitslosigkeit
Der 58jährige Wen Shizhen ist seit Juli 1997 Erster Parteisekretär der nordostchinesischen Industrieprovinz Liaoning. Zuvor war er dort Provinzgouverneur. Er gilt als vehementer Verteidiger der chinesischen Wirtschaftsreformen.
taz: Ist die geplante Reform der Staatsunternehmen ein wirklicher Einschnitt, vergleichbar mit der Öffnung Chinas im Jahre 1978?
Wen Shizhen: Beim 15. Parteitag wurde beschlossen, daß die Reform der Staatsunternehmen der Schwerpunkt der Wirtschaftsreform sein soll. Die Reform der Staatsbetriebe würde auch die Reformen auf anderen Gebieten fördern und dazu beitragen, daß der Rahmen der sozialistischen Marktwirtschaft so schnell wie möglich etabliert werden kann.
Spricht man schon von Privatisierung, oder ist das noch tabu?
Es geht um Etablierung einer Wirtschaftsstruktur mit verschiedenen Eigentumsformen. Da gibt es Joint-ventures mit ausländischen Firmen wie die Kooperation zwischen der Traktorenfabrik von Liaoning und der deutschen Firma Liebherr oder börsennotierte Aktiengesellschaften. Wir sprechen nicht von Privatisierung, wie man sie sich im Westen vorstellt.
Wie viele Arbeiter in Liaoning werden ihren Job verlieren?
In großen Unternehmen wie etwa dem Stahlwerk von Anshan muß künftig die Zahl der Beschäftigten in großem Maß zurückgehen, damit die Produktivität erhöht und der Verwaltungsapparat vereinfacht werden kann. Dieser Personalabbau ist anders als die Rationalisierung der Staatsbetriebe in Ostdeutschland. Als erstes werden die Sozialorgane in den Betrieben wie Krankenhäuser vom Betrieb abgetrennt. Das heißt nicht, daß alle Beschäftigten dieser Abteilungen ihre Arbeit verlieren. Dann sollen die Dienstleistungsabteilungen innerhalb der Unternehmen selbständig werden und sich auf dem Markt behaupten. Drittens will man den Hauptteil des Unternehmens, nämlich die Produktionsabteilung, rationalisieren.
Macht es heute noch Sinn, den Chinesen Vollbeschäftigung zu versprechen?
Vollbeschäftigung ist für alle Länder schwer zu erreichen. Unser Ziel besteht darin, die Zahl der Arbeitslosen unterhalb der Grenze der Tragfähigkeit der wirtschaftlichen und sozialen Stabilität zu halten, genauer gesagt unter vier Prozent. Vollbeschäftigung ist nur ein Ideal. Obwohl durch diese Reform viele ihre Arbeit verlieren, sind die Chancen für eine Wiederbeschäftigung groß. Als Folge der Planwirtschaft konzentrierten sich die Arbeitskräfte in der Industrie. In Liaoning bleibt der Dienstleistungsbereich dagegen unterentwickelt. In der Stadt Shenyang waren zum Beispiel zwei Drittel der 1,5 Millionen Beschäftigten im Industriesektor tätig und nur ein Drittel im Dienstleistungsbereich. Durch Reformen ist es gelungen, die Zahlen in den zwei Bereichen auszubalancieren. Darum müssen wir neben der Umstrukturierung der Beschäftigung auch die alte Denkweise der Leute verändern.
Ist Liaoning die Provinz mit den größten Problemen in China?
Liaoning ist eine von den Provinzen, wo die größten Probleme bei der Reform der Staatsbetriebe sind, weil ihre Anzahl in Liaoning relativ groß ist.
Um diese Probleme zu lösen, brauchen Sie mehr Unabhängigkeit oder mehr Hilfe von Peking?
Jetzt brauchen wir noch viel Hilfe vom Staat. Die Probleme der Staatsbetriebe entstanden nicht erst seit den 90er Jahren, sie sind das Erbe der Planwirtschaft.
Wer hat Liaoning in den letzten Jahren mehr geholfen, der Staat mit Subventionen oder die Japaner mit Investitionen?
Um die Entwicklungsprobleme von Liaoning mit seiner Bevölkerung von 40 Millionen zu lösen, sind unsere eigenen Bemühungen am wichtigsten. Daneben brauchen wir sowohl Unterstützung vom Staat als auch die Zusammenarbeit mit dem Ausland. Interview: Georg Blume
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