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Der Castor entzweit die Grünen

Entscheidung für vorzeitigen Transport wurde allein von der SPD mit Bonn verabredet. Grüne lehnen Forderungen nach Rückzug aus der Landesregierung ab  ■ Von Reiner Metzger

Berlin (taz) – Die Demo gestern nachmittag in Ahaus war vorerst die letzte zum Castor-Transport ins Münsterland. Noch einmal zogen einige tausend – nach Angaben der Polizei 2.000 – friedlich vom Ortszentrum hinaus zum Zwischenlager. Doch die politischen Nachwirkungen werden vor allem die Bündnisgrünen noch eine Weile beschäftigen.

Das Vorstandsmitglied der Bochumer Grünen, Martin Budich, sah in der Online-Ausgabe des Magazins Marabo (www.marabo.de) sogar Konsequenzen für die rot-grüne Landesregierung: „Entweder sind sie (die Grünen) Teil der Regierung, dann hätten sie von der Vorverlegung des Tansports wissen müssen und wären verpflichtet gewesen, das mitzuteilen, damit möglichst viele an den Demos teilnehmen können“, meinte Budich am Samstag. „Wenn sie es nicht gewußt haben, sind sie nicht wirklich an der Regierung und nichts anderes als lächerliche Gestalten. Beides gute Gründe, aus einer Regierung auszutreten.“

Die Bündnisgrünen im Landtag sehen das anders. „Ich weiß nicht, wie Martin Budich auf so eine Forderung kommt“, sagte gestern Roland Appel, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen im Düsseldorfer Landesparlament. Im übrigen könne man sehen, daß die Proteste gegen die Castor- Transporte erfolgreich seien und Eindruck auf die Atomlobby machten. „Die Vorverlegung war eine Flucht nach vorne, weil sie fürchteten, die Transporte später nicht mehr durchzukriegen“, so Appel. „Den Trick kann man aber nur einmal anwenden, beim nächsten Mal klappt das nicht mehr.“

Den „Trick“ hat nach Angaben eines Sprechers des Düsseldorfer Innenministeriums SPD-Minister Franz-Josef Kniola selbst „vor vier Wochen“ angeregt. Danach wurde die Möglichkeit eines früheren Transports mit den beteiligten Gremien wie Bahn, Bundesinnenministerium oder Bundesgrenzschutz besprochen. Daß die Option „Vorverlegen“ real besteht, wurde nach dieser Darstellung erst am vergangenen Montag entschieden. „Im Innenministerium wußten außer dem Minister nur vier Personen Bescheid“, so der Sprecher gestern. Die Polizeiführung, auch in Münster, sei erst am Donnerstag abend informiert worden. Als die Castor-Behälter Donnerstag nacht im Kohlekraftwerk Walheim am Neckar zusammengekoppelt waren, hätte die Entscheidung hingegen bei der Polizei gelegen, ob der Sixpack nun sofort losfährt. „Auch Innenminister Kniola wurde erst in der Nacht zum Freitag gegen drei Uhr von der Einsatzleitung informiert, daß der Zug nun wirklich losgeschickt wird“, so der Sprecher.

Der den Einsatz leitende Polizeidirektor Horst Haase räumte am Samstag in Ahaus ein, daß sich „die Bürger womöglich von uns auf den Arm genommen“ fühlten. Doch der Innenminister habe ihn eben erst Donnerstag abend ins Bild gesetzt. „Hintergangen fühle ich mich deshalb nicht“, beteuerte er. Auf die Frage, ob der Innenminister die Polizeiführung vielleicht nicht für vertrauenswürdig halte, antwortete der bündnisgrüne Münsteraner Polizeipräsident Hubert Wimber: „Es geht hier nicht um Vertrauenswürdigkeit. Es geht um eine taktische Leistung, den Transport geheimzuhalten.“

Über die Leistung der Polizei in Ahaus und an der Bahnstrecke gingen die Meinungen jedoch auseinander. Die offizielle Seite freute sich über die gelungene Taktik der Deeskalation. Alles sei wesentlich friedlicher als bei den Gorleben- Transporten abgelaufen. Die Mediengruppe der Anti-Atom-Initiativen hingegen sah die „Gewalt eindeutig von Seiten der Polizei“ ausgehen. Allein die Sanitäter des Deutschen Roten Kreuzes versorgten bis Samstag vormittag 66 Verletzte, die unter anderem Knochenbrüche, Platzwunden und Prellungen hatten. Vor allem von Berliner Polizisten wurden Ausfälligkeiten gemeldet. Das Vorgehen der Spreebullen will auch Innenminister Kniola mit seinem Berliner Kollegen „nachbereiten“.

Reportage Seite 12

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