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Volk begehrt mehr Demokratie

„Zuschauer-Demokratie“abgewählt: 221.865 stimmten für mehr Bürgerbeteiligung. Nächste Hürde heißt Volksentscheid  ■ Von Silke Mertins

Unter den Aktivisten der Initiative „Mehr Demokratie für Hamburg“brach gestern abend sofort der Jubel aus, denn man hatte einen beeindruckenden Sieg errungen: Zehn Prozent der Wahlberechtigten wären für den Erfolg des Volksbegehrens für mehr direkte Demokratie nötig gewesen – über 18 Prozent wurden erreicht. Für die Absenkung der Hürden auf Landesebene (Volksentscheid) sprachen sich 18,4 Prozent (221.865) der HamburgerInnen aus. Zusätzlich votierten 18,1 Prozent (218.273) für die Einführung von „Bürgerentscheiden“– also Volksabstimmungen auf Bezirksebene.

Das beste Ergebnis wurde mit 19,6 Prozent im Bezirk Altona erreicht, das niedrigste in Hamburg-Mitte mit 15,4 Prozent. Insgesamt wurden die Erwartungen der Initiatoren überall weit übertroffen.

Die SPD hatte das vorläufige amtliche Endergebnis offenbar früher erfahren als die Öffentlichkeit. Bereits zwei Minuten nach Verkündung durch Landeswahlleiter Wolfgang Prill, dem Staatsrat der Innenbehörde, verkündete die Fraktion per Pressemitteilung, daß sie an den inhaltlichen Bedenken festhalte. Man wolle das Ergebnis aber „sorgfältig analysieren“. Der erste Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) verstieg sich zu dem kryptischen Satz: „Die bestehenden Quoren sind aber keineswegs prohibitiv.“

Die Bürgerschaft hat nun drei Monate Zeit, sich den Vorschlägen der Initiative „Mehr Demokratie“anzuschließen. Bleibt sie untätig, kommt es anschließend zu einem Volksentscheid.

Rund 100.000 Mark und enorm viel ehrenamtliches Engagement hat die Initiative „Mehr Demokratie in Hamburg“in den Versuch gesteckt, die Hürden für direkte Bürgerbeteiligung zu senken. Im August vergangenen Jahres wurden dem Senat die Unterschriften – mindestens 20.000 müssen es sein – für den ersten Schritt überreicht: Die Volksinitiative. Schritt Nummer zwei: das Volksbegehren. Mindestens zehn Prozent aller Wahlberechtigten müssen sich in ihren Bezirksämtern per Eintragung dafür aussprechen, eine Abstimmung durchzuführen. Das wurden gestern ebenfalls erreicht. Die dritte Etappe ist die eigentlich Wahl: der Volksentscheid, der in diesem Fall höchstwahrscheinlich parallel zur Bundestagswahl im September stattfindet.

In den vergangenen zwei Wochen gab es in den Bezirksämtern allerdings auch Irritationen. Wer seine Unterschrift abgeben wollte, bekam eine Liste unter die Nase gehalten, auf der auch alle Nachbarn und deren Abstimmungsverhalten aufgeführt waren. Der Hamburger Datenschutzbeauftragte Hans-Herrmann Schrader ist über diese Offenherzigkeit nicht eben begeistert. Er habe darüber bereits Gespräche mit der zuständigen Innenbehörde geführt. „Zwar ist das gesetztmäßig, aber für die Zukunft empfiehlt sich ein datenschutzfreundlicheres Verfahren.“

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