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Beidseitig vergnügt

■ Von bauarbeitenden Schauspielern, Kulturarbeitern und anderen Simulanten

Daß der Lokalchef dieser Zeitung am Montag vormittag nicht ansprechbar war, weil er mit arbeitslosen Journalisten in der Kantine diskutierte, wunderte eigentlich keinen. Ebensowenig, daß vor ein paar Tagen eine Gruppe Arbeitsloser einfach in die Chefredaktion marschierte, Forderungen vortrug, sich des Kopiergerätes bemächtigte und danach im sale & tabacchi essen ging, dem Nobelitaliener im taz-Haus.

Möglicherweise ermutigt von Christoph Schlingensief und der simulierten Gründung einer Partei der letzten Chance, entdecken Arbeitslose derzeit das „System Ich“ und sind jetzt überall präsent. Fröhlich lärmten die von neulich durch den vierten Stock der taz und blieben nur kurz vor dem Glaskasten der Kulturredaktion (Oswalt-Kolle-Oase) stehen. Dabei hätten sie ruhig hereinkommen können, denn Arbeit gibt es hier genug. Nur eben kein Geld.

Leuten bei der Arbeit zuschauen kann man gegen ermäßigte achtzehn Mark Eintritt derzeit auch im Theater am Halleschen Ufer. Man sieht Schauspieler, allerdings nicht bei der Arbeit des Vorspielens oder wenigstens beim Textlernen, sondern beim vorgespielten Arbeiten. Konzeptionell werden Bauarbeiten durchgeführt, die echt scheinen wollen, aber natürlich nicht echt sind. „Beton Deutschland. Eine Woche der Arbeit“ heißt die Aktion von Marold L. Philippsen.

Zu Beginn wurden am Montag auf schützende Bodenfolien Tragevorrichtungen und Zementsäcke auf die Bühne geschleppt, wobei die Darsteller in Blaumännern ihre Bewegungen mit rituellem Ernst ausführten und keineswegs mit jener ruppigen Selbstgewißheit, die von denjenigen ausgeht, die wissen, daß sie als einzige von den Fundamenten der Gesellschaft etwas verstehen.

Einige Menschen im Theater am Halleschen Ufer sah man aber doch ihrer real existierenden Arbeit nachgehen, während man sich dort, wo sonst Zuschauerreihen installiert sind, auf Schaumstoffkissen von den Strapazen der eigenen Arbeit ausruhte: die Technomusiker von Paloma etwa, die live einen schön schummernden Baustellensound herstellen, und einen Fotografen, der den Beginn der „Bauarbeiten“ festhalten will. Der aber schien sich auf der taghellen Bühne vor aller Blicke ganz unsicher zu fühlen und bewegte sich geradezu künstlich auf angestammtem Terrain.

Die merkwürdige Gemengelage von erstens gespielter Arbeit, die trotzdem Arbeit ist, zweitens sofort zu erkennender echter Arbeit, drittens einem Zuschauen, das letztlich ebenfalls Arbeit ist, und viertens das zu diesem Zeitpunkt völlige Fehlen echter Zuschauer produzierte eine Abwehrhaltung, in deren Windschatten die frustrierte Vermutung segelte, daß der Unterschied zwischen echter und simulierter Arbeit sowieso sophistischer Natur sei.

Wenn nur als echt gälte, was zum Lebensunterhalt beiträgt, wären die meisten Künstler keine. Und wenn sich Arbeit in Abgrenzung zur Freizeit definieren müßte, wären die meisten Kultur- und Kommunikationsarbeiter arbeitslos. Tatsächlich stellen sich an kulturellen Vermittlungspositionen häufig Zweifel ein. Die Grenzen zwischen Sachbearbeitung, Gestaltung und Hochstapelei sind fließend, und wer etwas anderes behauptet, ist nur der bessere Schauspieler.

All das erklärt auch, warum dem konzeptionellen Simulanten Christoph Schlingensief die Sympathien einer Kulturredaktion sicher sind, während die taz-Kollegin aus dem Berliner Lokalteil den Kopf schüttelt über den „Hampelmann“, der die noch nicht einmal richtig gegründete Partei der letzten Chance gerade wieder verlassen hat, um eine Schlingensief-Partei zu gründen. „Die Verarschten der Gesellschaft verarscht er damit noch einmal“, sagt sie.

Was man so sehen kann, wenn man Fakten in petto hat. Was aber noch nicht klärt, woher das plötzliche Gruppenbewußtsein der Arbeitslosen kommt. Und auch weitere Fragen offenläßt. Sind beispielsweise arbeitslose Journalisten im Gespräch mit einem Ressortleiter überhaupt noch arbeitslos? Oder sind sie nicht – ein Gedankenspiel in völliger Unkenntnis der individuellen Verhältnisse –, sofern sie Arbeitslosengeld bekommen, in einer Situation staatlich bezahlter Fortbildung? Und wie kann für den einen Zuschauen Arbeit sein, für den anderen aber Freizeit? Und was ist mit jenen, die ordentlich angestellt sind, sichtbar etwas tun und deren verdientes Geld trotzdem nicht zum Leben reicht? Petra Kohse

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