: Medizinisch ist der Eingriff simpel, unter den ÄrztInnen aber umstritten: Die Wiederherstellung des Jungfernhäutchens. Vor allem junge muslimische Frauen leiden unter repressiven Moralvorstellungen. In den Niederlanden gibt es die kleine "R
Medizinisch ist der Eingriff simpel, unter den ÄrztInnen aber umstritten: Die Wiederherstellung des Jungfernhäutchens. Vor allem junge muslimische Frauen leiden unter repressiven Moralvorstellungen. In den Niederlanden gibt es die kleine „Reparatur“ sogar auf Krankenschein.
Nadelstiche für das Patriarchat
Mein Körper wird dich berühren, dich spüren
bis ins letzte verführen
frei und grenzenlos will ich sein,
hemmungslos vor Leidenschaft schreien.
Es ist ein oft bemühtes Bild: Das blutbefleckte Bettlaken, nach der ersten Hochzeitsnacht stolz aus dem Fenster gehängt, als Beweis der weiblichen Jungfräulichkeit. Daß das Nicht-vorzeigen-Können des Blutflecks nicht nur, aber vor allem in muslimischen Familien für die Frauen fatale Folgen von Scheidung bis Mord haben kann, ist leider nicht nur in schlechten Filmen Realität.
In den Niederlanden werden Gynäkologen den überstrengen Heiratsregeln seit Jahren auf ihre Weise gerecht. Auf Kosten der Krankenkassen werden Jungfernhäutchen auf Wunsch der Frauen „repariert“. Eine Gruppe niederländischer Mediziner berichtet jetzt erstmals darüber in einem Beitrag für das British Medical Journal. Medizinisch ist der Eingriff simpel, er kostet die Kassen weniger als hundert Mark.
Die Mädchen und Frauen, die in das Rotterdamer Zuiderkrankenhaus kommen, sind überwiegend muslimische Frauen, die noch nicht lange in den Niederlanden leben. Und sie sind nicht so jung, wie man vermuten würde. Die älteste Patientin war 28 Jahre und aus Ägypten angereist, erzählt Ariel Verhoeff, einer der Ärzte: „Sie hatte sich verliebt und Angst, daß die Familie ihres Mannes sie verstößt, wenn herauskommt, daß sie keine Jungfrau ist.“ Viele Mädchen, sagt Verhoeff, „stehen kurz vor der Rückkehr nach Marokko oder in die Türkei. Oder ihr künftiger Ehemann, den die Eltern ausgesucht haben, ist unterwegs nach Holland.“
Nach den Beobachtungen der Ärzte nimmt die Zahl der Mädchen, die vor der Hochzeit ihr Jungfernhäutchen reparieren lassen wollen, in den letzten Jahren zu. Wachsenden Fundamentalismus will Verhoeff dafür aber nicht verantwortlich machen: „Ich glaube eher, daß Frauen heute den Mut haben, darum zu bitten.“ Das Motiv der Frauen sei meist dasselbe: „Ich muß, sonst kann ich nicht zurück nach Hause.“ Und oft sei es auch gar nicht der zukünftige Ehemann, der mit derart rigiden Moralvorstellungen daherkomme, sondern die Familie.
In der Bundesrepublik überlegt Pro Familia Berlin, die Angebotspalette um den kleinen Eingriff zu erweitern. Bei dem ambulanten Eingriff werden unter örtlicher Betäubung die Reste des Hymens mit wenigen Stichen wieder zusammengenäht. Wobei das Wort „Häutchen“ oft schon eine Übertreibung ist, denn bei vielen Mädchen und jungen Frauen handelt es sich nur um einen schmalen, dünnen Hautsaum am Scheideneingang. Sabine Müller, Gynäkologin im Ostberliner Familienberatungszentrum „Balance“ spricht denn auch von dem „Mythos Jungfernhäutchen“. Sie führt den Eingriff seit Jahren durch und bekommt auch von Pro Familia Berlin Patientinnen geschickt. Aus dem ganzen Bundesgebiet reisen manchmal Frauen zu Sabine Müller nach Berlin-Lichtenberg. Denn während einige einschlägig bekannte Frauenärzte die Notlage junger muslimischer Frauen ausnutzen und bis zu 850 Mark pro Naht verlangen, berechnete „Balance“ lange Zeit nur 50 Mark. Inzwischen werden Frauen mit geringem Einkommen 100, gut verdienenden 200 Mark berechnet.
Die großen Preisdifferenzen bei dieser „kleinen Naht“ sind möglich, weil in Deutschland, anders als in Holland, die „Hymenalrekonstruktion“ keine Kassenleistung ist. Die Wucherpreise einiger Gynäkologen sind für Pro Familia Berlin ausschlaggebend für die Überlegung, den Eingriff wieder ins Angebot aufzunehmen, sagt die Pro-Familia-Ärztin Gisela Gröschl. Bis vor vier Jahren hatte eine Kollegin von ihr die Naht am Häutchen angeboten. Mit deren Weggang sei diese Leistung aber eingestellt worden. Die Diskussion über die Wiederaufnahme des kleinen Eingriffs ist aber noch nicht abgeschlossen.
Sabine Müller von „Balance“ ist ebenfalls zögerlich mit dem Eingriff: „Zur Beratung kommen viele Frauen, doch wir operieren nur wenige, bei denen eine Heirat ansteht.“ Sie betont, daß sich Frauen aus Kulturen, in denen der rote Fleck auf dem Hochzeitslaken schicksalsträchtig ist, schon immer mit kleinen Tricks zu helfen wußten: „Ich empfehle den Frauen, einfach ein Stückchen rohe Leber ins Bett zu schmieren.“
Unumstritten ist das Handeln der Medizner nicht. Kritisiert werden Verhoeff und seine Kollegen vor allem aus moralischen Gründen. „Als Arzt kann man sich nicht darauf zurückziehen, zu behaupten, man sei nur der Patientin verpflichtet und nicht auch deren Beziehung zu einem Ehepartner“, schreibt der britische Philosophieprofessor Raphael im British Medical Journal. Wer sich als Arzt entscheide, an einem Betrug mitzuwirken, müsse auch sehen, wer dort betrogen wird. So sei der Eingriff nur dann akzeptabel, wenn der Ehemann einbezogen sei – und die beiden gemeinsam ihre Familien täuschen. Eine Verpflichtung gegenüber dem – zukünftigen – Ehemann weisen die Rotterdamer Ärzte von sich: „Ich behandle eine Patientin und nicht ihren Ehemann und schon gar nicht ihre Eltern“, sagt Verhoeff, „und ehrlich gesagt interessiert mich ein Ehemann, der möglicherweise sein ganzes Leben herumgevögelt hat und nun eine Jungfrau heiraten will, auch gar nicht besonders.“ Jeannette Goddar, Barbara Debus
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