: „Den Mitbürgern noch vieles erklären“
Der Streit um den Spritpreis treibt Joschka Fischer nach Sachsen-Anhalt. Gestern stattete er Dessau einen Blitzbesuch ab, um „Ängste abzubauen“. Miriam und Michael hat sein wortgewaltiger Auftritt noch nicht überzeugt ■ Von Constanze v. Bullion
Das Raumschiff setzt gegen 14 Uhr auf. Klein ist es und grün, am Bug wird heftig geblinkt und am Heck kräftig gerudert. Bloß keine Bruchlandung, ist die Devise des Käptn's. Doch der Commander der grünen Mannschaft aus Bonn wirkt irgendwie verkatert, als er zwischen den Mietskasernen von Dessau landet. Gestern ist der bündnisgrüne Fraktionschef Joschka Fischer zum Blitzbesuch in der Bauhaus-Stadt an der Elbe angetreten. Weil es brennt auf dem Planeten Sachsen-Anhalt.
Vier Wochen sind es noch bis zur Landtagswahl im einzigen Bundesland Ost, in dem die Bündnisgrünen mitregieren. 5,1 Prozent haben sie vor vier Jahren hier eingefahren. Und ob es am 26. April für eine Neuauflage der rot-grünen Koalition reicht, bezweifeln sogar Optimisten. Tag und Nacht tingeln die knapp 600 Mitglieder grüner Ortsverbände über Land, den Mund reden sie sich fusselig über die ökologisch-soziale Erneuerung. Doch seit dem Parteitag in Magdeburg schallt ihnen nur noch ein Satz entgegen: „Fünf Mark für Sprit zahlen wir nicht.“
Von einem „strategischen Fehler“ und „Marketingproblemen“ spricht auch Steffie Lemke. Sie ist Sachsen-Anhalts einzige grüne Bundestagsabgeordnete, eine aus dem Lager der Fundis. Von Zerknirschung über das Mediengewitter, das in den letzten Wochen über den Ökopaxen niederging, ist bei ihr wenig zu spüren. „Wir sind hier links“, sagt Lemke selbstbewußt, „mit meinen 30 Jahren bin ich eben noch nicht völlig abgenutzt von der Politik.“
Ein wenig abgenutzt wirkt dagegen Oberrealo Joschka Fischer. Sein neues Buch habe ihn um den Schlaf gebracht, entschuldigt sich der schmächtige Herr mit den Denkerfurchen. Fischer besucht die Expo und das berühmte Bauhaus. In Dessau wird eines Tages auch das Bundesumweltamt seinen Sitz haben. Doch der grüne Spitzenkandidat wirkt seltsam abwesend. „Fast wie ein Kloster“, träumt er am Modell einer Bergarbeitersiedlung. Als zöge er sich lieber in stillere Sphären zurück.
Dabei hat der grüne Fraktionsführer Zoff angekündigt. „Wer um Kap Hoorn herum will, der muß schwere See aushalten“, erklärte Fischer kämpferisch im Spiegel. Bei dieser vorgezogenen Wahlkampftour will er „die Ängste der Bürger abbauen“ und die „absurde“ Tankstellenkampagne der CDU abwürgen. Den Kampf um die öffentliche Meinung muß Fischer allerdings auch in den eigenen Reihen gewinnen. „Seit wir als mögliche Regierungspartei gelten“, meckert er die Abgeordnete Lemke auf der Straße an, „müssen wir mehr auf unsere Außenwirkung achten. Sonst kriegen wir das nicht gebucht.“
Die Dessauer Fischer-Fans wollen von solchen Warnungen gar nichts hören. Rappelvoll ist der Rathaussaal, viele junge Leute sind gekommen, aber auch ältere, die „einfach mal den Fischer sehen“ wollen. Mit dabei sind auch Miriam und ihr Freund Michael, die 1998 zum erstenmal wählen. Miriam tendiert eher zur CDU, „weil die in der Wirtschaftspolitik besser sind“ und in der Schule „mehr auf Leistung setzen“. Michael steht auf die Grünen, weil die „nicht nur kleine Korrekturen, sondern große Alternativen fordern“. Auch wenn sie sich mit der Spritgeschichte „natürlich ein Ei gebraten“ haben.
Um das Ei dreht sich dann fast alles beim Auftritt der Politpromis. Hans-Jochen Tschiche, Vorsitzender der bündnisgrünen Landtagsfraktion, verweist auf vier stabile rot-grüne Jahre. Er will allerdings nicht leugnen, daß man „den Mitbürgern noch vieles erklären muß“. Die Spritparole kapiert jeder, die grünen Ausführungen sind eher etwas für Eingeweihte. Joschka Fischer jedenfalls taucht sein Publikum erst mal in ein intellektuelles Blitzlichtgewitter. Daß teueres Benzin das Dreiliterauto bringt, nicken die Zuhörer noch verständnisvoll ab.
Als er aber erklärt, wie das mit Lohnnebenkosten und mit Spitzensteuersatz zusammenhängt, schweifen die Blicke langsam ab. „Teilweise zu kompliziert“, notiert Fischers Presssprecher auf seinem Zettel, doch da ist der Chef schon bei der „Regionalisierung der Sozialversicherungsbeiträge“. Über die Bayern zieht er jetzt her, die für ärmere Bundesländer nicht mehr zahlen wollen. „Das heißt, die im Osten sind uns zu teuer“ donnert Fischer. Tosender Applaus, diese Botschaft kommt rüber.
Nein, so sauer, wie er erwartet hatte, sind die Dessauer gar nicht über die Grünen. Ob es ein Manuskript von der Rede gebe, erkundigt sich höflich ein Rentner. Da sind Miriam und Michael, die Erstwähler, schon auf dem Heimweg. „Rhetorisch ganz nett, aber die Finanzierungsvorschläge haben mich nicht überzeugt“, meint die Gymnasiastin. „Fischer ist okay, aber in meiner Wahlentscheidung hat er mich nicht unbedingt bestätigt“, sagt ihr Freund etwas bekümmert. „Der kann so wunderbar frei reden“, schwärmt dagegen ein Dessauer Grüner, „jetzt kommt's nur darauf an, wie wir das rüberbringen.“ Doch da ist Fischer schon um die Ecke. Das grüne Raumschiff aus Bonn hat eilig wieder abgehoben.
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