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Zu viele „Häuptlinge“ in Großbezirken

■ Aufgrund der Gebietsreform müssen die Bezirke ab 2001 insgesamt 1.430 Stellen streichen. Der Stellenabbau bei den Leitungsfunktionen wird erst mittelfristig zu Einsparungen führen. Beamtenrecht läßt qualitative Auswahl nicht zu

Die Bezirke müssen aufgrund der Bezirksreform ab 2001 insgesamt 1.430 Stellen abbauen. Nach Angaben der Innenverwaltung entfallen bei der Verringerung von 23 auf 12 Bezirke elfmal 130 Stellen. Bei durchschnittlich 2.500 Beschäftigten pro Bezirk entspricht dies einem Stellenabbau von etwa fünf Prozent. Der Abbau von Leitungsstellen erfolgt zusätzlich zum allgemeinen Personalabbau, wonach von 1996 bis Ende 1999 insgesamt 17.300 Stellen im öffentlichen Dienst entfallen.

Die Innenverwaltung erhofft sich durch die Bezirksreform Einsparungen von 190 bis 200 Millionen Mark. Davon sollen mindestens 160 Millionen Mark durch die Einsparung von Leitungskräften erbracht werden. Diese Rechnung dürfte jedoch erst auf lange Sicht aufgehen.

Auf betriebsbedingte Kündigungen will die Große Koalition verzichten. Die einzusparenden Stellen sollen einen kw-Vermerk („kann wegfallen“) erhalten, die Stelleninhaber gelten dann als Überhangkraft. Die Personalkosten müssen also weiterhin vom Bezirk bezahlt werden, obwohl die entsprechende Summe im Globalhaushalt dann bereits gekürzt wird. So wird zwar die Landeskasse pro zusammengelegten Bezirk um zehn Millionen Mark entlastet, doch letztlich wird der Betrag nur verschoben. Denn die Bezirke können Mehrausgaben im Umfang von zehn Millionen Mark kaum ausgleichen.

Beispiel Hellersdorf: In der Bezirksverwaltung sind 2.741 Personen beschäftigt. Derzeit sind aufgrund des allgemeinen Stellenabbaus bereits 185 Dienstkräfte im Überhang. Sie kosten den Bezirk jährlich zwölf Millionen Mark. Bislang erhalten die Bezirke am Ende des Jahres einen Großteil der Fehlbeträge von der Finanzverwaltung erstattet. Bis zum Abbau des Personalüberhangs bliebe es also bei einem Nullsummenspiel.

Doch auch der Abbau der – dann doppelt und dreifach vorhandenen – Amtsleiter wird nicht folgenlos bleiben, wie der Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz (Grüne) erläutert. Denn die „Häuptlinge“ verrichten nicht nur Leitungsaufgaben, sondern teilweise auch Sachbearbeitertätigkeiten. So ist der Amtsleiter des Standesamtes zu 85 Prozent mit Trauungen beschäftigt. Wird seine Stelle gestrichen, müßte im Grunde eine Ersatzkraft eingestellt werden. So ließe sich allenfalls die Differenz der Amtsleiterbesoldung (A13) zum einfachen Standesbeamten (A12) einsparen, erläutert Franz Schulz. „Aber: Wir dürfen gar keine neuen Stellen schaffen.“

Der CDU-Abgeordnete Rüdiger Jakesch, der intensiv mit der Bezirksreform befaßt ist, geht davon aus, daß Bezirke die überzähligen Leiter zu Stellvertretern machen. So wurde auch bei der Verwaltungsreform verfahren, wenn mehrere Ämter zusammengelegt wurden. Bis der Stellenabbau wirksam wird, dauert es also ein paar Jahre.

Künftig wird es nur noch eine bezirkliche Pressestelle, nur noch eine Gleichstellungsbeauftragte und einen Bezirksamtsdirektor geben, um nur einige Beispiele zu nennen. Und nicht immer wird man in der glücklichen Lage sein, daß ein Amtsinhaber kurz vor der Pensionierung steht.

Wie wird entschieden, welcher Amtsleiter das Rennen macht? „Der Beste soll es werden“, sagt der Hellersdorfer Bürgermeister Uwe Klett (PDS). Doch dazu wird es nicht kommen. Denn das Beamtenrecht läßt diesen Spielraum nicht zu. Entscheidend ist das Dienstalter. Entschieden wird nach Aktenlage. Auch die Verwaltungsreform, die eine leistungsbezogene Beförderung zuläßt, gibt nach Ansicht der Rechtsämter nicht genügend Spielraum für eine Besetzung nach der Qualifikation. Und Zeitverträge, die nach der Beamtenrechtsreform möglich sind, kommen auch nicht in Frage. In einem Referentenentwurf der Innenverwaltung sind sie erst ab der A 16-Besoldung vorgesehen – solche Stellen gibt es auf Bezirksebene kaum.

Bis zum Herbst soll ermittelt werden, wie viele Stellen die Bezirke erhalten, wenn die Senatsverwaltungen wie geplant Aufgaben an die Bezirke übertragen (siehe Text unten). Mit den Stellen soll auch das dazugehörige Personal in die Bezirke wechseln. Da Stellen in den Hauptverwaltungen meist besser bezahlt sind als in den Bezirken, wird sich auch hier erst langfristig ein Spareffekt einstellen. Denn wer in die Bezirke wechselt, muß keine Gehaltseinbußen hinnehmen.

Der Verwaltungsexperte der Bündnisgrünen, Oliver Schruoffeneger, schätzt, daß von 110.554 Stellen der Hauptverwaltung bis zu 20.000 Stellen an die Bezirke übertragen werden könnten – „vorausgesetzt, man nimmt die Übertragung von Aufgaben und den Abbau von Doppelarbeit ernst“. Doch in diesem Umfang ist damit kaum zu rechnen. Die Koalition werde es bereits als Erfolg verkaufen, wenn tausend bis zweitausend Stellen an die Bezirke abgegeben werden, schätzt Schruoffeneger. Er sieht die größte Gefahr darin, daß die Hauptverwaltungen nur relativ wenig Personal an die Bezirke abgeben, „und der Rest sucht sich neue Aufgaben“.

Die 23 Bezirksbürgermeister sind sich einig, daß sie keine Aufgaben ohne das entsprechende Personal und Sachmittel übernehmen. Doch um ihre Forderungen durchsetzen zu können, müßten sie vor allem wissen, wieviel Personal in den Hauptverwaltungen mit welchen Aufgaben beschäftigt ist. Bürgermeister Klett: „Wenn die nicht ihre Stellenpläne und Geschäftsverteilungspläne offenlegen, stochern wir im Nebel.“ Dorothee Winden

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