piwik no script img

Leben in Klein-Togo

■ Mit seinen rund 1.000 Kolonien ist Berlin noch heute die Laubenpieperhauptstadt der Republik

Idylle ist eigentlich was anderes: Unter einer Glocke von Autoabgasen, eingepfercht zwischen Spandauer Damm, Wiesendamm und Bahngleisen, liegt die Kolonie Eichtal. Ein bißchen verwaist liegt sie noch da, aber es ist ja auch noch früh im Jahr. Doch Horst Karg ist schon dabei, das Laubengärtchen flottzumachen. „Frisch gestrichen!“ mahnt ein Schild am Tor von Parzelle 37.

Seit 1972 hat Rentner Karg nun schon die Laube, die eigentlich ein massives Häuschen ist. „An den Lärm hab' ick mir jewöhnt“, meint der Spandauer Hobbygärtner. Vielmehr fürchtet er, daß er in ein paar Jahren seine Parzelle für den Transrapid räumen muß, der hier langfahren soll. „Aber dann fange ich nicht noch mal von vorne an.“ Denn immerhin ist das schon seine dritte Laube, die er bewirtschaftet: Auf der ersten befindet sich heute ein Hochhaus, auf der zweiten ein Altenstift. Doch bis der Transrapid kommt, macht er erst mal weiter: pikiert seinen Kohlrabi, steckt Ligusterheckensetzlinge und wässert die Obstbäume: „So hat man immer was zu murksen, und das hält jung.“

Mit seinen rund 1.000 Laubenkolonien für über 80.000 Kleingärtner ist Berlin die Laubenpieperhauptstadt der Republik. Im Gegensatz zu den Schreber-Vereinen in Leipzig und den Armengärten in Schleswig-Holstein sind die Berliner Kleingartenkolonien rein proletarischen Ursprungs. Die ersten Kleingärten wurden schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts angelegt, für die ganz kleinen Leute und die Arbeiter. Meist aus einer wirtschaftlichen Notlage heraus. Einen besonderen Aufschwung erlebte das Koloniewesen später, im Zuge der Industrialisierung: als viele Neuberliner aus dem Umland sich außerhalb der Innenstadt eine einfache Laube zimmerten, um der Wohnungsnot zu entrinnen. Der sanitäre Komfort: Wasserpumpe und Herzchenhaus. Auch nachdem sie eine feste Wohnung in der Stadt gefunden hatten, hielten die meisten an ihrem Laubengärtchen fest. Vor 100 Jahren wurde die Zahl der Laubenkolonisten schon auf 45.000 geschätzt. Während die kaiserlichen Kolonisten nach Afrika zogen, hieß es auch im Arbeiterbezirk Wedding „Wir gehen nach Togo“. Damals entstanden Laubenkolonien, deren Namen nach weiter Ferne klingen: „Klein- Afrika“, „Togo“ und „Guinea“.

Die Weimarer Republik gilt als Blütezeit des Kleingartenwesens. Elf Tage nach der Verkündigung der Verfassung wurde das deutsche Kleingartengesetz formuliert, das erstmals Rechte für Kleingärtner garantierte. Die meisten gelten noch heute. Während die Laubenpieper früher immer mal mit einer Vertreibung rechnen mußten, wurden jetzt große Gebiete als Dauerkolonien abgesichert. Zur gleichen Zeit entstanden auch die großen Volksparks der Stadt, Indiz für die sozialpolitischen Ambitionen jener Tage.

In den 30er Jahren dagegen versuchten die Nazis, ihre faschistische Ideologie auf das Kleingartenwesen zu übertragen: Der Kleingarten galt als Ort, an dem „der erbgesunde deutsche Stadtmensch mit dem Boden in Verbindung gebracht wird, wo er sein bäuerliches Denken erhält“. Die Großstadt galt ohnehin als Sündenbabel von Naturentfremdung und Rassendurchmischung. Bis 1933 war der Verkauf von Erträgen aus Kleingärten noch verboten, was die Konkurrenz zum gewerbsmäßigen Obst- und Gemüseanbau verhindern sollte. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde jedoch empfohlen, die Ziergartenanteile zugunsten zusätzlicher Gemüseproduktionen zu reduzieren, um, wie es hieß, „die Volksernährung“ zu gewährleisten. In Notzeiten war die Laube wichtiger denn je. Während des Zweiten Weltkrieges wurden etwa zwei Drittel aller Kleingärten permanent bewohnt. Jahrzehnte nach dem Krieg dienten die Parzellen vielen Leuten als Notunterkunft.

Auch Horst Karg und seine Frau zog es noch 1952 in eine Laube am Spandauer Rohrdamm. Denn als die englischen Soldaten nach Staaken kamen, wo die Karges eigentlich zu Hause waren, und „mitten auf der Straße die Flatterfähnchen aufstellten und sagten: Hier verläuft demnächst die Grenze, wurde es höchste Zeit umzuziehen. Zwölf Jahre lebte das Ehepaar Karg darauf in der Kolonie.

Heute ist nur noch in Ausnahmefällen gestattet, das ganze Jahr in der Laube zu wohnen. Das Kleingartengesetz spricht von „subjektivem Wohnrecht“, das nur demjenigen zuerkannt wird, der bis zum Jahr 1953 einen Antrag gestellt hat. Heute leben lediglich 3.600 Menschen aus der Kriegsgeneration das ganze Jahr über in der Kolonie. „Lauben sind nicht für das dauerhafte Wohnen geeignet“, erklärt Jürgen Hurt, Präsident des Verbands Deutscher Kleingärtner. „Schon aus ökologischer Sicht.“ Schließlich dürfe die Laubenkolonie als innerstädtische Grünfläche nicht durch permanente Bewohnung unterlaufen werden. Größer als 24 Quadratmeter darf heute ohnehin keine Laube mehr gebaut werden, wie ein neuerer Passus im Bundeskleingartengesetz vorschreibt. Eine Größe, in der es sich ohnehin schlecht leben läßt.

Auch Horst Karg wäre am liebsten das ganze Jahr lang im Eichtal. Fast täglich fährt er jetzt schon von seiner Wilmersdorfer Wohnung aus raus in den Garten, wienert die Zwerge und macht die Beete flott. Die ersten Krokusse sind immerhin schon da. Und spätestens zum 1. Mai, wenn offiziell die Saison beginnt, dann kommen auch die Nachbarn. Kirsten Niemann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen