: "Punk" sein, nicht "ein Punk"
■ Verliebt, verlebt, nur leicht vergreist: Doch Älterwerden ist für Terrorgruppe kein Thema
Archie Alert ist vielleicht vier Jahre alt. Ihm ist nicht geheuer, daß er fotografiert wird, wo er doch bloß malen wollte. Die anderen sind etwas älter, spielen Flöte, laufen Rollschuh, proben an der Spielzeug-MP den bewaffneten Kampf und sind allesamt sehr präpubertär. – Aus den Jungs in kurzen Hosen sind lange schon stattliche Punkrocker geworden. Nimmt man „Keiner hilft euch“, die neue und dritte Studio-CD der Terrorgruppe, aus ihrer Hülle, stößt man auf die Kinderbilder. Als wollten die Thirtysomethings sich selbst und allen beweisen, auch mal jung gewesen zu sein.
Punk war man eigentlich immer, nur nicht immer ein Punk. „Irgendwann hat man die Schnauze voll von der Musik“, sagt Archie Alert, Sänger der Terrorgruppe, „aber wenn man damit aufgewachsen ist, kommt man immer wieder darauf zurück. Vielleicht wird Punk mal eine Roots-Sparte wie R&B oder Blues.“ Also erzählt der Gitarrist Johnny Bottrop von seiner zweiten Erleuchtung. Anfang der 90er Jahre spazierte der Altpunk durch sein Kreuzberg, und alle Menschen trugen lange Haare. Einschließlich ihm selbst. Urplötzlich wurde ihm klar, wie angenervt er war von „all dem Gedudel und den Leuten, die Pearl Jam und anderen Schweinerock hörten“. Die Konsequenz hieß: Haare ab, Punkband gegründet – wie damals, Ende der 70er, als er zum ersten Mal Punkrocker wurde. Denn Punk bedeutete „schon immer, gegen den Strom zu schwimmen“.
Das mit der Rebellion, glaubt Alert, „funktioniert heute noch genauso“. Die jungen Menschen, von der Terrorgruppe gern und oft „Kids“ genannt, seien auch nicht anders als man selbst damals. Nicht nur Alert und Bottrop, auch Bassist Zip Schlitzer war einmal Punk der ersten Stunde in seiner westdeutschen Kleinstadt. Nur Trommler Hermann von Hinten ist jünger, genießt aber als Ostflüchtling mildernde Umstände.
Daß die Sache mit dem Alter nicht so einfach ist, war ihnen klar. So hatte gleich der erste Song, den die Terrorgruppe jemals schrieb, das Älterwerden zum Thema. „Aber als wir 30 wurden, hat uns das nicht mehr interessiert“, sagt Alert heute. Inzwischen kommt der Song auch nicht mehr zur Aufführung. Doch sie wissen, daß es ihnen besser geht als anderen. „Es gibt viele Leute in der Szene“, erzählt Alert, „die sehr bitter geworden sind.“ Und tatsächlich mag es ja so sein, daß die, „die gestern noch Green Day gekauft haben, heute Rammstein kaufen“. Er aber freut sich über den Nachwuchs, der ihre Konzerte besucht: „die erinnern mich an mich“. Doch zu einer Begegnung der Generationen kommt es dennoch nicht: „Die Alten stehen hinten am Tresen und lästern, während vorne die Kiddies abgehen.“
Auf „Keiner hilft euch“ kann man zumindest das Bemühen hören, nicht nur die eigenen reichen Erfahrungswerte auszuwerten. So sprengt diese Platte vehement den außerordentlich engen Deutschpunk-Kanon. Der traditionell ideologisch verwandte Ska läuft friedlich neben Tote-Hosen- Stomp, fast schon hittauglichem Poppunk oder einem Jazzversuch, und einmal seufzt ein zünftiger Hintergrundchor tatsächlich ein souliges „Oh yeah“. Inhaltlich wagt man sich neben den üblichen Beschimpfungen von Bullen, Berliner Innensenatoren und dem inperialistischen Amerika auch an Homosexualität und die Schwächen des Bildungssystems, jedenfalls, äh, irgendwie. „Punk ist 20 Jahre alt geworden“, rechnet Alert vor, „heute kommt es auf ganz andere Sachen an.“ Eine dieser Sachen ist es, „in der Lage zu sein, live performen zu können“. Darauf, auf das Handwerk, ist man auch ein bißchen stolz, auch wenn das nicht sonderlich Punk ist und zudem „das einzige, was uns mit Pur verbindet“. Neben dem Plattenvertrieb natürlich, denn über Intercord „hängen wir am Arsch von Hartmut Engler“. Allerdings behält man übers eigene Kleinstlabel die „absolute Kontrolle“ und sackt trotzdem das Geld ein. Das wiederum ist zwar „sehr Punk“, aber ernährt den Rocker nicht so ganz, obwohl die bisherigen Platten mit jeweils 20.000 Einheiten überraschend gut verkauften. So arbeitet man weiterhin bei einem Konzertveranstalter, versucht sich als Spätkauf-Unternehmer oder überzeugter Arbeitsloser durchzuschlagen.
Doch eine gewisse Vergreisung ist nicht zu übersehen. Versteckt am Ende der Platte findet sich mit „Ich und Du“ ein herzlich ernst gemeintes Liebeslied. Hier wird das Punker-Paradies nicht mehr definiert als eine Palette Dosenbier mit den Kumpels am Kottie, sondern als monogame Zweierkiste mit der Liebsten. „Wir sind erst 16, schreib das“, weist Johnny Bottrop an, „aber wir haben uns in den letzten Jahren sehr verlebt, deshalb sehen wir so alt aus.“ Thomas Winkler
Terrorgruppe: „Keiner hilft euch“ (Gringo/Alternation/Intercord)
„Monsters of Hauptstadt“ mit Terrorgruppe, Mad Sin, Mothers Pride und Beatsteaks am 12.4., 20 Uhr, in der Columbiahalle
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