: Mildes Reizklima für bayerische Steuersünder
Steuerbeamte, die Betriebe gründlich prüfen, gelten als Standortrisiko. Steuerhinterzieher werden mild bestraft ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler
Zwei Millionen Mark bringt er dem Fiskus pro Jahr. Das sind 250.000 Mark mehr als seine Kollegen im bayerischen Landesdurchschnitt und gar 800.000 Mark mehr als seine Mitarbeiter im Fürther Finanzamt. Trotzdem ist der 54jährige Betriebsprüfer Rolf Belzner aus dem mittelfränkischen Cadolzburg bei seinen Vorgesetzten nicht beliebt.
In ihren Beurteilungen rügen sie seine „exzessive Steuerprüfung“, und die letzte Stufe seiner Karriereleiter, die Beförderung zum Oberamtsrat, wird Rolf Belzner wohl nie erklimmen. Nachdem Petitionen an den Landtag ohne Wirkung blieben, hat er nun die Gerichte eingeschaltet.
Wenn Bayerns Finanzminister Erwin Huber im Brustton der Überzeugung betont, der Steuervollzug im Freistaat „erfolge nach Recht und Gesetz“, kann Amtsrat Belzner nur lachen. Nicht nur weil sich die Finanzbeamten im oberbayerischen Wolfratshausen mit Freibier, Essenseinladungen und teuren Sportgeräten haben schmieren lassen und gegen die Kollegen bislang 16 Urteile wegen Steuerhinterziehung und Bestechlichkeit ergangen sind. Nicht nur, weil derzeit der Ingolstädter Regierungsdirektor Henner Fischer- Stabauer, der maßgeblich die Steuerskandale der Familie Zwick und des CSU-Politikers Gerold Tandler aufgedeckt hatte, seinen Vorgesetzten in der Finanzverwaltung wegen Mobbing auf Schadenersatz verklagt. Amtsrat Belzner lacht in eigener Sache.
Seit 27 Jahren ist er nun schon als Betriebsprüfer beim Finanzamt Fürth tätig. Seit Jahren wird er von seinen Vorgesetzten zu mehr Oberflächlichkeit angehalten. Was „maßvoller Gesetzesvollzug“ in amtsdeutsch heißt, nennt Belzner eine „Aufforderung zu ungesetzlichen Verhaltensweisen“, denn als Betriebsprüfer sei er zu exaktem Arbeiten verpflichtet. „Solche Aufforderungen erhalte ich natürlich nur mündlich, schriftlich traut sich das keiner“, betont der Beamte. Schriftlich hat er nur seine schlechten Beurteilungen vorliegen. In seinem Zeugnis von 1994 heißt es, er neige dazu, „sich von außerordentlicher Gründlichkeit leiten zu lassen“. Drei Jahre später wird ihm vorgeworfen, daß er ein Arbeitspensum erledige, „das unter dem Durchschnitt vergleichbarer Prüfer“ läge. Das will sich Rolf Belzner nun nicht länger nachsagen lassen.
Beförderung hin oder her, ihm gehe es „ausschließich um die Sache“, betont der Finanzbeamte. Deswegen verlangte er von seiner Oberbehörde Beweise für sein zu „niedriges Arbeitspensum“. Doch auf die wartet Rolf Belzner nun schon über ein halbes Jahr. Beim Verwaltungsgericht Ansbach hat er wegen Untätigkeit eine Klage eingereicht und hofft, damit mehr Erfolg zu haben als mit seiner Petition.
Zusammen mit zwei Kollegen aus München und Aschaffenburg hatte sich Rolf Belzner direkt an den Finanzausschuß des Landtags gewandt. Er wollte klarstellen, daß die oberste Devise von Betriebsprüfern nicht die schnelle Prüfung von möglichst vielen Fällen sein könne, sondern eine gründliche Arbeit. Die Sitzung im Landtag hat Belzner in schlechter Erinnerung: „Das war ein Trauerspiel. Die haben uns zwar angehört, aber es war alles für den Papierkorb.“
Für Belzner steht die Steuergerechtigkeit auf dem Spiel. „Es geht doch nicht, daß die großen Betriebe geschont, die kleinen Lohnsteuerzahler aber auf Mark und Pfennig geprüft werden“, betont er. Bayerns Finanzstaatssekretär Alfons Zeller ist da anderer Meinung. Durch Belzners mit „äußerster Akribie“ durchgeführte Prüfungen entstünden „Wettbewerbsverzerrungen“. Diejenigen Betriebe wären im Nachteil, die Belzner als Prüfer zugewiesen bekämen. „Die tun gerade so, als würde ich den Standort Bayern oder den Standort Deutschland gefährden“, setzt sich Belzner gegen seine Kritiker zur Wehr. „Die Finanzverwaltung ist nicht berechtigt, durch den Verzicht auf entstandene Steueransprüche Wirtschaftspolitik zu betreiben“, schreibt er Finanzstaatssekretär Zeller einen Kommentar eines Richters am Bundesfinanzhof ins Stammbuch. Inzwischen hat Belzner die Unterstützung von der Deutschen Steuergewerkschaft und der Landtagsopposition erhalten.
Der SPD-Landtagsabgeordnete Jürgen Schade hat dazu einmal nachgerechnet, was ertappte Steuersünder im Freistaat erwartet. Sein Ergebnis: „Der Freistaat ist ein Eldorado für Steuersünder.“ Wer erwischt wird, darf demnach im Bundesvergleich mit äußerst milden Sanktionen rechnen. Eine Million Mark hinterzogene Steuer kostet im Freistaat durchschnittlich nur 26.000 Mark Geldbuße. In Schleswig Holstein sind es 158.000, in Baden-Württemberg 130.000 und in Rheinland-Pfalz 124.000 Mark. Damit liegt Bayern in der Rangliste der Bundesländer auf dem vorletzten Platz, dahinter rangiert nur noch Sachsen-Anhalt mit 11.000 Mark. Auch bei den Freiheitsstrafen bedeuten 8,9 Monate Freiheitsentzug pro Million hinterzogener Steuer für Bayern den vorletzten Platz. Spitzenreiter ist hier Bremen mit 33,8 Monaten, vor Thüringen (33,0) und Hamburg (26,3). Das sei „Ausfluß eines wohlwollenden und milden Klimas, das die CSU und ihre Staatsregierung für Steuersünder im Freistaat“ bereithalte, kommentiert Schade sein Rechenexempel.
Da in Bayern zudem „nachweislich besonders schnell und damit oberflächlich geprüft“ werde, fordert Schade mehr Stellen für die Finanzverwaltung. Finanzminister Erwin Huber entgegnet solchen Vorwürfen mit konkreten Zahlen. In den letzten Jahren sei die Steuerfahndung um 99 Kräfte und damit um 46 Prozent und die Betriebsprüfung um über 400 Stellen und damit um 22 Prozent aufgestockt worden. „Hier hat man keine neuen Stellen geschaffen, sondern leere Stellen endlich nach Jahren wieder einmal besetzt“, entgegnet Belzner seinem obersten Vorgesetzten.
Auch daß Huber sich damit brüstet, daß das Mehrsteuerergebnis der bayerischen Prüfer von 1996 innerhalb eines Jahres um 400 Millionen auf 3,4 Milliarden gestiegen ist, kann Belzner so nicht stehenlassen: „Wenn wir nicht so auf Masse getrimmt würden, wäre dies um viele Millionen höher.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen