: Pol Pot als Faustpfand
Kambodschas Rote Khmer wollen mit Pol Pots Auslieferung ihre Haut retten und auf die Rolle Chinas und der USA verweisen ■ Aus Bangkok Jutta Lietsch
Wer gegen die Befehle der Angkar verstößt, wird getötet“, verkündet die Schiefertafel im verlassenen Schulhaus von Anlong Veng, dem letzten Dschungelstützpunkt der Roten Khmer im Nordwesten Kambodschas. Mit eiserner Hand hat die Organisation Angkar, wie sich die Roten Khmer selbst nennen, bis zuletzt versucht, ihre Macht zu erhalten: „Wer Kontakt mit Zivilisten oder Militärs der Regierung knüpft, wird getötet“, heißt es weiter. Anlong Veng ist nach heftigen Kämpfen nun in Regierungshand. Das Ende der Roten Khmer und ihres berüchtigten Führers Pol Pot, unter deren Herrschaft von 1975 bis 1979 über eine Million Menschen umkamen, scheint sicher.
Tausende Kämpfer sind in den letzten Tagen zur Regierung übergelaufen. Der Militärchef der Roten Khmer, Ta Mok, und seine Vertrauten kämpfen derzeit in den schwer verminten Dangrek-Bergen wenige Kilometer vor der thailändischen Grenze um ihr Überleben.
Wie verzweifelt die Roten Khmer sind, wurde in diesen Tagen deutlich: Um ihren eigenen Kopf zu retten, wollen sie Pol Pot an ein internationales Tribunal übergeben. Gestern bot Khmer- Kommandant Khem Nuon gegenüber dpa in Thailand die Auslieferung Pol Pots an, falls auch derzeitige kambodschanische Ministerpräsident Huns Sen angeklagt werde. „Wenn jemand Pol Pot haben will, dann muß er auch Hun Sen nehmen, weil er die gleichen Verbrechen begangen hat“, erklärte Khem Nuon. Dann fuhr er jedoch fort: „Wenn sie Hun Sen nicht anklagen wollen, akzeptieren wir auch Geld als Ersatz.“
Bevor die Roten Khmer sich bereit erklärten, ihren ehemaligen Chef ans Messer zu liefern, hatte die US-Regierung erklärt, sie wolle Pol Pot fangen und vor ein internationales Völkermord-Tribunal bringen. Unbekannt ist allerdings, wo Pol Pot sich derzeit aufhält. Der „Bruder Nr.1“ und seine Komplizen befänden sich im militärischen Sperrgebiet in Thailand, behauptete der kambodschanische Generalstabschef Ke Kim Yan am Dienstag: „Ich glaube, Pol Pot ist vielleicht schon drüben auf thailändischem Gebiet.“ Dies weist Bangkok energisch zurück. Thailand will diplomatischen Ärger mit China vermeiden. Denn Peking war bis vor wenigen Jahren engster Verbündeter der Roten Khmer. Ohne Chinas Zustimmung kann der UN-Sicherheitsrat den Internationalen Gerichtshof in Den Haag nicht beauftragen, Pol Pot den Prozeß zu machen. Deshalb baten die Amerikaner China letzte Woche um Unterstützung. Eine Antwort erhielten sie bislang nicht. Es ist fraglich, ob die Chinesen ihren früheren Schützling im Stich lassen werden.
Ironie der Geschichte: Washington selbst hatte die Roten Khmer in den achtziger Jahren unterstützt. Damals war das mit der Sowjetunion verbündete Vietnam der Hauptfeind — obwohl die Vietnamesen Pol Pot Anfang 1979 aus Phnom Penh vertrieben hatten. Die USA, China und andere Staaten rüsteten die kambodschanischen Bürgerkriegstruppen auf, zu denen auch die Roten Khmer gehörten. Heute sitzen viele Rote Khmer wieder in hohen Positionen in Phnom Penh. Auch der Zweite Premierminister und starke Mann Kambodschas, Hun Sen, diente Pol Pot bis 1978.
Bekannte Folterer aus den berüchtigten Todesgefängnissen der Roten Khmer leben unbehelligt auf ihren Farmen in Kambodscha. Grund: Im Kampf um mehr Macht haben in den letzten Jahren verschiedene Regierungsfraktionen die Roten Khmer heftig umworben, um ihre eigene Position zu stärken. Dazu gehört auch der durch einen Putsch vertriebene Prinz Norodom Ranariddh. Der Preis war Straflosigkeit für die ehemaligen Mörder: Der 1996 übergelaufene Ieng Sary, einst Außenminister des Roten-Khmer-Regimes, herrscht über eine autonome Region im Südwesten Kambodschas. Nachdem er Hun Sen die Treue versprach, erhielt er im Januar die Belohnung. Er darf trotz offiziellen Exportverbots 178.000 Kubikmeter Holz ausführen und kann dafür geschätzte 75 Millionen Dollar einstreichen.
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