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Schön, daß du geboren bist

■ Am Sankt-Jürgen-Krankenhaus können Frühgeborene jetzt die Stimme ihrer Mutter auf Cassette im Brutkasten hören

in nacktes Äffchen mit wirren schwarzen Kopfhaaren. Den Mund aufgerissen zum stummen Schrei, wedelt es verzweifelt mit den daumendicken Ärmchen gegen das schauderhafte Aufderweltsein an. Häßlich und grazil zugleich, ein Muckelchen, viel zu fein, als daß es sich schon so bald knuddeln ließe – ein Eintagskind unter der dichten Plastikhaube des Brutkastens im Sankt-Jürgen-Krankenhaus. Und ist doch mit seinen kräftigen Bewegungen gegen den Tropf am Fuß schon eines der mutigeren seiner Sorte hier auf der Intensivstation für Frühgeburten. Die Mutter ist nicht da. Und wird soviel Zeit auch nicht haben für das namenlose Infans, denn neben ihm liegen seine zwei Zwillingsgeschwister, die sind eher noch kleiner als der Erstgeborene. Das Würmchen aber muß trotzdem nicht auf Mutters beruhigende Stimme verzichten.

Diesen Service zumindest bietet jetzt die Musiktherapeutin Marie-Luise Zimmer am Sankt-Jürgen-Krankenhaus Müttern, die ihre Brutkasten-Babys allein auf dem High-Tech-Feld der Intensivmedizin zurücklassen müssen. Mittels der Low-Tech eines simplen Diktiergerätes nebst Minilautsprecher nämlich spielt die Musiktherapeutin nun Mutters Stimme in das Innere des luftdichten Inkubators und will damit ans vertraute akustische Milieu des Fetus erinnern.

„Klang, Rhythmus, Melodie, und Schwingung – alle Elemente der Musik kommen dabei zum Tragen“, betonte gestern Marie-Luise Zimmer, die gemeinsam mit dem Direktor der Klinik, Klaus Al-.brecht, das sanfte Medizinprojekt im Zentralkrankenhaus vorstellte. Zum Nutzen nicht nur des Gefühlshaushaltes, sondern damit auch der körperlichen Entwicklung des Kindes, wie unisono betont wurde. Fast jedes Frühchen unter 1.000 Gramm würde heute überleben, betonte der leitende Arzt an der Intensivstation. Die Frage der Lebensqualität aber ist eine zweite. „Wir wissen“, so Klaus Albrecht, „von der Bedeutung einer möglichst guten Mutter-Kind-Beziehung in den ersten Monaten.“Die Entwicklungsverzögerung werde bei Frühgeborenen damit ein Stück weit aufgefangen. Das „Känguruhen“, bei dem auch die Frühchen vom ersten Tag an auf der Brust ihrer Mama kuscheln dürfen, wurde schon vor einigen Jahren eingeführt – 1992 wurde die Mutter der sanften Frühgeburt, Marina Marcovich, dafür noch fachmännisch ausgepfiffen.

Und auch die Bedeutung Mozarts für ruhigen Atem und Herzfrequenz wurde seit den Forschungen um das musiktherapeutische System „Tomatis“bis in Bereiche des Leistungssports diskutiert. Doch sinnvoller als Mozart sei die mütterliche Stimme, betonte gestern Marie-Luise Zimmer, die die musiktherapeutische Methode teilweise gemeinsam mit ihrer Erfinderin Monika Nöcker-Ribaupierre weiterentwickelte.

Nicht zuletzt für die Mütter selber. Rhythmisch streicht Frau Ohland-Lahrte ihrem neunwöchigen Malte über den Kopf. Das Geburtstagslied „Wie schön, daß du geboren bist, wir hätten dich sonst sehr vermißt“hat sie ihrem Fünften auf die Cassette gesungen. Und dann noch „Valentino Frosch“vorgelesen, das haben die Geschwister ausgesucht. „Nach einer Blutentnahme wird die Musik angemacht“, und dann werde Malte gleich ruhiger, hätten ihr die Schwestern versichert. Sie selbst käme einmal am Tag von Cuxhaven hoch – mehr sei nicht drin: „Das Mittagsessen muß ja auch auf den Tisch.“ ritz

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