: Glaubwürdig durch Ironie
■ Experimentell: „Das kleine Fernsehspiel: ich schneide schneller (soap)“, 0.35 Uhr, ZDF
„Ich hatte Angst, daß mein Film aussieht wie ein ,kleines Fernsehspiel‘. Und vielleicht wollte ich da lieber, daß er aussieht wie 'ne Soap.“
(Regisseur René Pollesch)
Einmal im Jahr bekommt „Das kleine Fernsehspiel“ vom ZDF einen Termin in den Münchner Filmstudios. Im vergangenen Jahr bedeutete das beispielsweise: ein Studio – drei Dekorationen – neun Drehtage (elektronische Aufzeichnung, Live-Schnitt; Soap-Bedingungen also, wie nebenan, wo die ARD täglich ihren „Marienhof“ fertigt). Und ein Sendetermin stand auch schon fest: heute nacht um 0.35 Uhr.
Aus diesen unverrückbaren Vorgaben heraus galt es sodann, 55 Minuten Sendezeit zu füllen. „Außerdem“, so der 36jährige Regisseur René Pollesch, „ging es vor allem darum: Das Experiment in die gewohnten Bilder der Zerstreuung zu betten. Eine Art Zappingfalle für Soap-Fans oder im Gegenteil: Ich finde vor allem den Gedanken nicht schlecht, daß dauernd jemand daran vorbeizappen könnte und denkt, er überspringt gerade eine Soap und nicht eine ,De Sade & Sushi-Party‘, die in unserer ,Folge‘ gefeiert wird.“
Zu sehen sind jedenfalls eine Wohnküche mit Glasbausteinen, ein Konferenzraum der Deutschen Bank, ein Gang im Krankenhaus mit Sitzgruppe und Getränkeautomat und darin sechs Jungmenschen – drei Männer (u.a. Thomas Heinze), drei Frauen (u.a. Nina Kronjäger) – im H&M/Yuppie- Outfit: Natascha ist schwanger, Regina liegt im Koma, Sebastian sitzt allein vorm Fernseher (n-TV zeigt Bilder eines Angriffs auf Sarajevo, am unteren Bildschirmrand ziehen die Börsenkurs-Inserts vorüber) – später erschießt er sich. Alle nehmen pausenlos Drogen, reden darüber sowie darüber, daß sie damit aufhören, aufhören sollen bzw. sollten und anderes existentielles/belangloses Zeug. Emotionslos sagen die Darsteller ihre Texte auf, gelegentlich schreien sie „ICH BIN NICHT HYSTERISCH!“ oder ähnliches: 55 Minuten V-Effekt.
Außer „beunruhigend“ (Pressetext) könnte man Polleschs experimentelles Fernsehspiel ebensogut auch „eitel“ oder „moralisch“ nennen und simpler Effekthascherei bezichtigen: Man nehme das trivialste aller TV-Genres und fülle es randvoll mit provokativen Inhalten (Drogenexzesse, Kirchen- und Kapitalismuskritik, de-Sade-Lesung...) bzw. kleide Versatzstücke all jener in der kommerziellen Fernsehlandschaft zumindest tendenziell tabuisierten Diskurse in Stereotype der Soap – und schon entsteht etwas, das man leichtfertig „anspruchsvoll“, „beunruhigend“, „Kunst“ nennt: „Botho Strauß dividiert durch Schlingensief“, sagte jemand nach der Pressevorführung. „Syndet statt Seife“ sagte ein anderer. Na, bravo!
Erstaunlicherweise aber gelingt Polleschs Experiment. Das mag am stilsicheren Sampling von Zeitgeistkitsch (mexikanisches Bier, Marienvision, Ecstasy, de Sade) und Alltagsbeobachtung (Langeweile) liegen, oder daran, daß sich Soap tatsächlich als durch und durch zeitgemäße Ironisierungsästhetik erweist. Schließlich geht es hier gar nicht um die Soap („Soaps sind kaum zu parodieren“, weiß auch Fernsehspielredakteur Burkhard Althoff), sondern darum, mit „(soap)“ über den Umweg Ironie überhaupt wieder glaubwürdig zu werden.
Andererseits: Harald Schmidt (ein erfolgreicher Entertainer beziehungsweise einer, der sich nicht entblödet, in einem Berliner Theater aus seinem „Lieblingsbuch“ „American Psycho“ zu lesen), ließ in einer seiner Shows das Kölner Capitol-Publikum Goethes „Iphigenie“ mit verteilten Rollen aus Reclamheftchen rezitieren. Vor Mitternacht, im Privatfernsehen. Ist das nicht ebenso beunruhigend? Oder virtuoser? Christoph Schultheis
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