■ Normalzeit: Als Schlawiner in Schwung
In der Russischen Botschaft Unter den Linden ist es stets prächtig. Und noch immer brennt der rote Stern auf dem Glasfenster-Kreml im Säulensaal, sogar die zuckenden güldenen Strahlen, die vom Stern ausgehen, sind noch in Betrieb. Die Beleuchtung im Theatersaal wird neuerdings jedoch elektronisch per PC gesteuert. Dort war es nun gerappelt voll mit Slawistikstudenten der Humboldt-Universität. Der Botschafter begrüßte sie mit „Sehr geehrte Kollegen!“. Sie hatten 1997 im Zusammenhang ihres Streiks gegen die finanziellen Kürzungen an der Uni einen Brief an Kohl geschrieben, in dem sie ihn von der Notwendigkeit des Erhalts ihrer Ausbildung – gerade in Berlin, der „Ost- West-Drehscheibe“ – zu überzeugen suchten. Ein ähnlicher Brief war auch an Jelzin gegangen. Zu ihrer Überraschung reagierte der russische Präsident prompt – und schickte ihnen einen Stapel Lehrbücher. Der Botschafter legte dann noch eine Enzyklopädie der russischen Sprache drauf und richtete einen „Festakt“ zur Übergabe aus: „Ich hoffe, daß sich auch Geschäftsleute diesem Schwung der Seele anschließen werden.“ Nun war es an den Studenten, sich zu bedanken. Sie taten das in staatsmännischem Ton, obwohl ihr Redner noch einmal scharf auf die Slawisten-Situation an der HUB zu sprechen kam (für 900 Studierende eine Professur, der Dolmetsch-Studiengang akut bedroht, die Unileitung zuwenig kämpferisch usw.) und auch nicht mit Forderungen geizte: z.B. nach einer bilateralen Praktikumsbörse.
Die Studenten hielten ebenfalls ein Büchergeschenk bereit – für russische Germanistikstudenten, wofür sie noch eine Transportmöglichkeit suchten. Aber von den städtischen Fuhrleuten bzw. Spediteuren bzw. Euro-Logistikern war niemand erschienen. Zum Schluß brachte eine Studentengruppe den Tschechowschen Einakter „Der Heiratsantrag“ auf russisch zur Aufführung, den sie mit dem in Berlin lebenden sibirischen Regisseur Victor Shulman einstudiert und schon in Göteborg bei den dortigen Slawisten aufgeführt hatten. (Am 5. Mai werden sich die Göteborger Slawistik-Mimen im HUB-Theatersaal revanchieren – ebenfalls mit einem Tschechow- Stück. Der Rektor der HUB antwortete dem studentischen Sprecher in seiner Rede: „Irgendwann muß das Kämpfen immer ein Ende haben!“ Ein anderer Redner zitierte Goethe: „Ein Mensch hat so viele Leben, wie er Sprachen beherrscht.“ Und der Übersetzer des Botschafters sprach von „Schlawistik“. Eine „Bohemistik“-Studentin erklärte mir später, auch ihr Fach sei bedroht. Bis dato wußte ich gar nicht, daß es so etwas überhaupt gibt! Es war eine nette kleine Feier in einer großen, immer noch – u.a. wegen der vielen in den Treppenhäusern herumstehenden Männer – geheimnisvollen Botschaft. Und ich hatte daran bloß teilgenommen, weil Herr und Frau Shulmann meine Russischlehrer sind. Einige andere Russen waren jedoch unzufrieden. Einer, schon seit langem in Berlin lebend, mäkelte: „Früher hat der Botschafter hier bei solchen Anlässen immer den großen Führer der Arbeiterbewegung, Ernst Thälmann, beschworen, jetzt wird mit derselben Geste auf die kleine Prinzessin zu Anhalt-Zerbst verwiesen, die es in Rußland bis zu Katharina der Großen brachte. Ist das nicht albern?“ Da ich das erste Mal in der Botschaft gewesen war, als man dort während des Putsches quasi für Gorbatschow demonstriert hatte, war mir diese sich „treu“ gebliebene Botschafter-Rhetorik nicht aufgefallen. Statt dessen hatte ich nur gedacht, daß der Botschafter vielleicht allzu beeindruckt war von der großen Moskauer „Katharina-Ausstellung“ samt Katalog und Kalender, die unlängst das Joint-venture-Unternehmen des russischen Konzerns Gazprom und der deutschen BASF, die Wintershall AG, gesponsort hatte. Oder war deren Konkurrent, die Ruhrgas AG, der „Kulturförderer“ gewesen? Ich hatte es vergessen, obwohl zu Hause in meiner „Russenecke“ seitdem der Kalender hängt. Helmut Höge
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