Glühkopfdieselbrummen

■ So klingt die Welt: Radio Bremen-Regieassistent Werner Staats sammelt Geräusche

Werner Staats mogelt. Tagaus, tagein. Ankerlassen auf hoher See beispielsweise. „Als O-Ton können Sie das vergessen. Viel zu windig.“Also geht Herr Staats in seine Rumpelkammer und mogelt. Umgeben von Dosen, Kokosnüssen, Koffern und anderen Klangkörpern rasselt er dort vor dem Mikrophon mit der gammeligen Ankerkette, mischt später in seinem Tonstudio viel Wind, Wassergeglucker und das ein oder andere Möwengeschrei dazu. Voilà: Ankerlassen auf hoher See. So klingt das halt.

Und der Frühling? „Frühling ist viele Vögel. Ist die Luft hingegen ganz tot und man hört vereinzelt ein paar Krähen: Das ist der Winter.“Und Sommer, Schweinegrunzen, Knallfrösche oder die Zubereitung von Pommes Frites – Staats weiß, wie die Welt klingt. 10.000 Geräusche hat der Regieassistent in fast 20 Jahren in seinem Radio Bremen-Schallarchiv gesammelt. In vielen tausend vergilbten Tonbanddosen, akkurat ins Regal geordnet, schweigen sie vor sich hin. Und warten. Auf den Augenblick, wo jemand in Werner Staats kleinen Archivraum stürmt und sagt: „Ich brauche O-Ton Obernstraße!“„Atmo 40“denkt dann der 40jährige spontan, greift an der entsprechenden Stelle im Regal zum Tonband und läßt kurz darauf die Obernstraße durch den Raum donnern. „Aber nein. Die Obernstraße donnert nicht. Da fahren keine Autos. Straßenbahn, Stimmen, umherlaufende Menschen – das ist Obernstraße.“

Aber nicht alles klingt mehr so, wie Staats Archiv es noch beherbergt. Der Bremer Hafen beispielsweise: „Eine ganz traurige Geschichte.“Auf den Bändern aus den 50er, 60er und 70er Jahren hupen die Kähne, ächzen die Krähne, rufen die Menschen. „Und heute? Da ist nichts mehr los. Allenfalls ein paar Vögel.“Keine ächzenden Krähne. Keine rufenden Menschen. O-Ton Strukturkrise.

Aber leise ist es dort trotzdem nicht. Weder dort noch sonstwo. „Richtige Stille gibt es da draußen gar nicht mehr.“Denn wohin man auch hört: Den Autogeräuschen kann man nicht mehr entfliehen. „Und wenn man dann ins Hollerland fährt, um die Natur pur aufzunehmen, donnert mit Sicherheit ein Flugzeug durch die Luft.“Das verträgt der geräuschempfindliche Werner Staats nicht. Ebensowenig wie seine geräuschempfindlichen Mikrophone. Und so muß er, wenn er die Stille hören will, zu einer vergilbten Tonbanddose in seinem Archiv greifen. Denn Stille, die findet man nicht mehr in der Welt.

So wie man auch keine Glühkopfdieselmotoren mehr findet. „Versuchen Sie mal, so ein Teil noch zu kriegen.“Aussichtslos, sagt Herr Staats. Es sei denn, man ist Herr Staats. Denn dann kennt man einen Treckerfahrer, der seinen Trecker noch mit einer solchen zündkerzenlosen Maschine antreibt. Mikro dranhalten, Gas geben, drosseln, absaufen lassen. Und anschließend freut sich der der Redakteur, daß in seinem Hörspiel der norddeutsche Seebär seinen reaktivierten alten Schiffsmotor – ein Glühkopfdiesel – klangecht über den Äther blasen kann. Und Werner Staats freut sich dann auch. Berufsehre.

Aber wenn Archiv und BekanntInnenkreis bei der Geräuschbeschaffung versagen, hilft nur noch der erneute Gang in die Rumpelkammer. Selber machen. Geknetete Mehlsäckchen knirschen dann wie Schritte im Schnee, reges Trampeln auf einem Tonbandhaufen klingt wie ein Spaziergang durch das Herbstlaub. Und zuweilen muß, damit es echt wirkt, Werner Staats seine Klänge produzieren, während die SchauspielerInnen ihre Texte lesen. „Bei Hörspielaufnahmen stehe ich dann neben den SchauspielerInnen und haue zum Beispiel mit dem Stock in den Schrank.“Und vor dem Radio sitzt man dann und denkt: Armer Kerl, dem da gerade die Fresse poliert wird. Aber zum Glück ist es nur der Herr Staats. Der mal wieder mogelt. Wie jeden Tag. zott