piwik no script img

Die Grünen wollen sich umorientieren

■ Arbeitsplätze und soziale Frage sollen im Wahlkampf stärker betont werden. Enttäuschung über Erfolg der DVU und eigenes Abschneiden

„Das Ergebnis ist bitter.“ Jürgen Trittin, Parteisprecher der Bündnisgrünen macht aus seiner Enttäuschung über den Wahlausgang in Sachsen-Anhalt keinen Hehl. Dabei schwankt die Bonner Partei- und Fraktionsspitze noch, ob sie mehr über das eigene schlechte Abschneiden oder mehr über das zweistellige Ergebnis der Rechtsradikalen geschockt ist.

Daß die Grünen nur wenig Chancen für den Wiedereinzug in den Landtag hatten, war ihnen auch vor der Wahl klar. Dennoch, dieses „Zusammenschmelzen auf die Stammwählerschaft, auf rund drei Prozent“ schmerzt. Immerhin waren die Grünen als Regierungspartei angetreten, und bislang haben sie aus Regierungsbeteiligungen immer profitiert. Da ist es nur ein schwacher Trost, daß auch die SPD weit unter ihren Erwartungen geblieben ist und die CDU tatsächlich die erdrutschartigen Verluste einstecken mußte, die man ihr vorhergesagt hatte.

Aus dem Ergebnis der Rechtsradikalen ziehen alle grünen SprecherInnen dieselben Schlüsse: Arbeitsplätze und die soziale Frage insgesamt müssen mehr in den Mittelpunkt der Wahlkampagne gestellt werden. Jürgen Trittin spricht von einer deutlicheren „Akzentuierung der sozialen Frage“, Bundesgeschäftsführerin Heide Rühle will die „soziale Einbettung der Steuerreform stärker betonen“, und auch Kerstin Müller, die Sprecherin der Bundestagsfraktion will deutlicher machen, daß die Grünen „ja gerade den verunsicherten Jungwählern eine Perspektive bieten wollen“. Die Verantwortung für das verheerende DVU-Ergebnis sieht Kerstin Müller allerdings mehr bei den großen Parteien. „Das Zündeln muß endlich aufhören“, fordert sie an die Adresse der Unions- aber auch SPD-Law-and-Order-Politiker, die mit der Denunziation von Ausländern im Wahlkampf punkten wollten. „Die Bundesregierung darf jetzt keinen Angstwahlkampf machen“, ist ihre Konsequenz aus dem Ergebnis der Rechten.

Für die wenigen Parteimitglieder, die ins Bonner Museumscafé gekommen waren, um sich gemeinsam Mut zu machen, war schon nach der 18 Uhr Prognose klar, daß das DVU Ergebnis „der eigentliche Hammer ist“. Christa Nickels ist wütend, daß die Großen nicht wirklich versucht haben, „den Frust abzufangen“, immer in der Hoffnung, selber davon zu profitieren. Aber seit heute, sagt auch Kerstin Müller, ist ja wohl klar, daß die eigentlichen Krisengewinnler im Osten nicht mehr die PDS oder gar die SPD sein werden, sondern die Rechtsradikalen. Innerparteiliche Konsequenzen sieht Kerstin Müller nicht. „Jetzt beim Benzinpreis einzuknicken würde nichts nutzen, wir werden uns auf den kleinen Parteitag Anfang Juni konzentrieren“. Jürgen Trittin ging in seinem Statement davon aus, daß es in Magdeburg eine große Koalition geben wird und die Grünen nun alles dafür tun müßten, daß „das nicht auch in Bonn passiert“.

Mit der drohenden großen Koalition haben die Grünen nun neben der Ökosteuer noch ein neues wichtiges Thema. Rund 30 Prozent der bundesdeutschen Wähler sind gegen eine große Koalition, „an die müssen wir ran“, hieß es schon vorher. Für die Grünen im Osten gab Gunda Röstel die Tagesparole aus: Marathon statt Kurzstrecke. Jürgen Gottschlich, Bonn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen