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Der Teufel: eine gefrorene Halbleiche

...und eine kopflos gewordene Menschheit zappelt an den Drähten. Das Marionettentheater Du Fust begegnet Christian Dietrich Grabbes Brachialsarkastik im Hebbel-Theater dennoch mit zurückhaltender Poesie  ■ Von Sabine Leucht

Ein blutroter Samtvorhang fließt inmitten der Bühne über ein unsichtbares Gestell. Weißer Rauch quillt unter ihm hervor, und zwei gigantische weibliche Schatten zelebrieren spiegelbildlich höllisches Großreinemachen. Großmutter ist beschäftigt, und so büxt der Teufelsenkel aus, klettert verstohlen am leuchtenden Stoff empor, um bald darauf als tiefgefrorene Halbleiche mit ein paar seltsamen Erdenbewohnern Bekanntschaft zu schließen.

Wenn der Teufel die Menschen heimsucht, droht ihm der Kältetod. Selbst wenn es August ist und die Hitze flirrt. Eine recht naheliegende Vermutung, die der zwanzigjährige Christian Dietrich Grabbe 1820 zum Ausgangspunkt seiner sarkastisch-absurden Komödie „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ gemacht hat. Wie „le Diable“ sich selbst und den Menschen einheizt, ist derzeit in der französischsprachigen Marionettentheaterversion des ThéÛtre du Fust, Montélimar, im Hebbel- Theater zu bestaunen.

Emilie Valantin, Theatergründerin, Puppenbauerin und -spielerin, zeichnet seit 1975 auch für alle Inszenierungen ihrer Truppe verantwortlich, und sie begegnet Grabbes Spaß am Grotesken mit erstaunlicher Zurückhaltung: Die 30 Figuren treffen in detailgenauen Szenenfolgen aufeinander, meist in sparsam zeitgenössisch dekorierten Kabüffchen. Nichts Grelles, nirgends. Die vorherrschende Farbe ist „heringssauer, gräulich bis grünlich“, sanft übergossen vom goldenen Licht der Romantik. Holzschnittartig grob sind lediglich die etwa 60 Zentimeter hohen Marionetten selbst: untersetzte, einheitlich kahlgeschorene Quadratschädel mit knorpeligen Nasen und Ohren – schlechte Charaktere fast allesamt, die nur durch stimmliche und Bewegungsnuancen individuelle Züge gewinnen.

Selbst noch in der hier stark gekürzten Fassung wird deutlich, warum Grabbes aufbrausendes Jugendwerk bislang kaum beachtet und fast nie aufgeführt wurde. Die bitterböse und anspielungsreiche Abrechnung mit seiner Zeit und den Zechern, Wegelagerern, gescheiterten Poeten und raffgierigen Sadisten des romantischen Dramas ist allenfalls von historischem Interesse. Über die abgründige Verderbtheit der Menschen gibt es weit Böseres und Genaueres. Und die Idee, den Teufel mittels der Magie „böser“ Kondome in die Falle zu locken, wirkt heute allzu albern.

Gleichwohl ist die Umsetzung zauberhaft, denn Valantin und ihre vier Mitspieler interpretieren das Stück mehr im poetisch-verspielten Geiste Daniil Charms (mit dessen „J'ai gêné et je gênerai“ das Du Fust bereits 1995 im Hebbel-Theater begeistern konnte) als im brachialdrastischen Sinne eines Alfred Jarry, den Christian Dietrich Grabbe nachweislich beeinflußt hat: Eine kopflos gewordene Menschheit zappelt an den Drähten der Puppenspieler, irrt unter der Knute des Teufels durch Nebelschwaden und haut sich funkenschlagende Felsbrocken auf die Köpfe. Gartenzwerge mit grotesk verzerrten Gesichtern fahren über die Bühne – kreischend in ihr Verderben. Und zu traumschwerer Orgel- und Klaviermusik schwingt sich die Sprache schließlich zu wunderschönem Gesang auf. Am Ende kommt sogar „der unsägliche Grabbe“ selbst als Marionette auf die Bühne und sieht des Schulmeisters dämlichstem Schüler verdächtig ähnlich.

„Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“, noch heute und morgen, 20 Uhr, Hebbel-Theater, Stresemannstr. 29

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