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■ NachschlagTaktvolle Hitlergrüße: „Der Fall Furtwängler“ im Schloßpark Theater

Das Kind ist ein Spätling. Es hat Hand und Fuß, und doch kann es kaum soviel Sensation machen wie seine älteren Geschwister, die vor über 30 Jahren das Licht der Bühnen erblickten. „Bruder Eichmann“ gehört zu dieser großen Theaterfamilie, die Figuren der „Ermittlung“, „J. Robert Oppenheimer“ und der „Stellvertreter“. Heute sind sie vor allem im Schülertheater zu Hause. In Ronald Harwoods „Der Fall Furtwängler“ geht es noch einmal um Macht und Moral, Wahrheit und Lebenslüge. Das Stück wurde 1995 in England uraufgeführt, jetzt hat Heribert Sasse es ins Schloßpark Theater geholt. Gespielt wird praktisch an historischer Stätte: Nur wenige Schritte entfernt fand 1946 das Entnazifizierungsverfahren gegen Furtwängler statt. Als Verzögerungen wegen Papierknappheit drohten, rief der damalige Schloßpark-Intendant Boleslaw Barlog zu Sachspenden auf, damit das Verfahren zügig abgeschlossen werden konnte. Furtwängler, einer der prominentesten Vertreter des nationalsozialistischen Musiklebens, wurde als Mitläufer eingestuft.

Auf der Bühne die üblichen Verdächtigen: Angeklagter, Kläger, Verteidiger, Zeugen, Protokollantin. Der verhandlungführende Major kommt als ruppiger Kulturbanause daher, der Beethovens Fünfte „scheißlangweilig“ findet. Der junge jüdische Leutnant David, ein Musikliebhaber, ergreift dagegen die Partei des verehrten Dirigenten, ebenso die Stenotypistin Emmi. Das Trio bleibt blaß, obwohl oder gerade weil der Autor den dreien allerhand Vergangenheit mitgibt. Interessanter sind die Zeugen. Eine Frau setzt sich für Furtwängler ein, weil er ihrem jüdischen Mann die Ausreise nach Frankreich ermöglichte. Daß der Mann später trotzdem in Auschwitz ermordet wurde, macht das zentrale Problem anschaulich: Furtwängler stellte sich in kleinen Dingen gegen das Regime, stärkte es jedoch insgesamt in seiner Funktion als Aushängeschild.

Gelegentlich hört man die Akten leise rascheln. Die lebendigste Figur des Stücks ist ein geschwätziger Opportunist. Es ist umwerfend, wie der heftig berlinernde Helmut Stauss im Verhör zappelt und sich windet, wie er draufloslügt und dann, als Nazispitzel entlarvt, sofort zum Denunzianten wird. Unbestrittener Mittelpunkt ist dennoch Erich Schleyer, der Furtwängler verblüffend ähnlich sieht. Während des Verhörs schaut er gerade ins Publikum, an seiner unheilvollen Würde prallen die Grobheiten des Majors ab – noch wenn er kotzen muß, bleibt er Maestro. War es heldenhaft oder lächerlich, wenn Furtwängler den Hitlergruß bloß mit dem Taktstock ausführte? Blieb er in Deutschland, um das Musikleben oder seine Privilegien zu retten? Ist eine Trennung zwischen Kunst und Politik möglich? Es sind die Fragen der 60er Jahre. Auch bei Harwood bleiben sie offen. Miriam Hoffmeyer

Bis 30.6., Di.–So., 19.30 Uhr, Schloßpark Theater, Schloßstraße 48

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